Montag, 26. Oktober 2015

Sind wir alle Rabenmütter? Mama-Ausstellung im Linzer Lentos

Als vor ein paar Wochen die Einladung zur Mütter-Ausstellung des Kunstmuseums Lentos ins Haus flatterte, fühlte ich mich erst mal geehrt. Wow, ein wirkliches, echtes Museum fand, dass unser Blog gut zum Thema „Mütterbilder von 1900 bis heute“ passen würde – hieß das nicht irgendwie, dass wir schon fast als Expertinnen in Sachen Mamasein galten? Als ich den Titel der Ausstellung sah, relativierte sich meine Euphorie jedoch relativ schnell: „Rabenmütter“.

Na bravo! Sofort zog ich beleidigt eine Schnute: Wie kamen die beim Thema Rabenmütter ausgerechnet auf uns? Wir waren doch bitteschön alles andere als Rabenmütter?! Die erste Empörung wich jedoch bald dem Zweifel: Was, wenn ich wirklich eine Rabenmutter war? Was, wenn die Ausstellung schwarz auf weiß belegen konnte, dass mich im historischen Kontext selbst Andy Warhol und Keith Haring als miserables Muttertier abstempeln würden? Mein Interesse war also geweckt: Obwohl mein Verständnis von Kunst zwar so ungefähr in der Bilderrahmen-Abteilung von Ikea aufhört, wollte ich mir ansehen, wie sich andere im Laufe der Zeit mit dem Thema Mamasein auseinandergesetzt hatten. Die Ausstellung versprach Werke von Künstlern aus aller Welt und das anschließende Symposium Fachleute aus Kunst und Historik – und außerdem würde es ein Tag sein, an dem ich mal ohne quengelndes Kleinkind am Rockzipfel ein Gratis-Buffet plündern konnte.

Eines sei allerdings bereits vorweggenommen: Das Buffet war an dem Tag definitiv nicht das Interessanteste! Aber fangen wir am Anfang an, nämlich vor der Tür des ersten Ausstellungsraumes. Gespannt und mit gezücktem Stift wartete ich auf den Beginn der Führung und schaute mich in der Runde um: Oje, nur ein vereinzelter Mann und sonst lauter Frauen – das löste in mir bereits die ersten Zweifel aus. Passte ich in diese Runde überhaupt hinein? Wurde das jetzt so ein Feminismus-Ding, in dem wir uns alle gegenseitig versicherten, wie stark wir als Frauen und Mütter waren? Bereits bei den ersten Bildern der Ausstellung verpuffte jedoch mein Bedenken: Hier war ich offensichtlich verdammt richtig. Bilder von genervten Mamas, die ihre Kinder hinter sich herzogen, Bilder von Babys, die sich der ewigen Schmuserei der Mutter entzogen, Bilder von schwabbeligen Kaiserschnitt-Bäuchen und Hängebusen – das kam mir alles nur zu bekannt vor!

Ausstellung "Rabenmütter" im Linzer Lentos

Allein über diesen Raum der Ausstellung hätte ich wahrscheinlich schon 10 Seiten schreiben können, in den anderen Räumen wurde ich aber mit noch so viel mehr Themen überschüttet, dass mir bald der Kopf rauchte: Mutterliebe, Mutterkörper, Mutterkonflikt, Mutterleid, Meine Mutter, Mutterstolz, Mutterleben, Muttersünden – jeder Abschnitt der Ausstellung für sich war ein absolutes Killerthema, das mich meine eigene Rolle als Mama an jeder Ecke hinterfragen ließ. Als alter Kunstbanause konnte ich zwar bei Weitem nicht mit jedem Bild etwas anfangen und musste bei manchen schon ganz genau hinschauen, um überhaupt zu erkennen, wo da eine Mutter oder ein Kind zu sehen sein sollten – aber auf emotionaler Ebene kam bei allen von ihnen eine klare Botschaft bei mir an: Mama zu sein ist eine Büchse der Pandora. Es bringt so viele Veränderungen, Emotionen, Überlegungen und Überstürzungen mit sich, dass man offensichtlich gar nicht anders kann, als erst einmal überfordert zu sein. Sofort tauchte bei mir die Frage auf: Wenn zumindest Künstler sich mit diesem Thema schon seit 1900 auseinandersetzen und es seit Anbeginn der Zeiten klar zu sein schien, dass das Thema Mutterschaft nicht nur eitel Sonnenschein ist – wie hatte ich selbst das vor meiner eigenen Schwangerschaft nicht mitkriegen können? Wieso hatte ich mir diese ganzen Ängste, Sorgen und schwer zu kontrollierenden Gefühle, die da mit absoluter Sicherheit auf mich zukommen würden, nicht mal ansatzweise vorstellen können??


Judith Samen: Brotschneiden

Auch auf diese Frage gaben mir die Bilder der Ausstellung und die darauf folgenden Vorträge zumindest eine annähernde Antwort: Weil Mutterschaft nicht nur das größte Mysterium, sondern offensichtlich auch nach wie vor das größte Tabu unserer Zeit ist. Dem sinngemäßen Zitat, dass man in einer Runde von acht Leuten im Restaurant noch eher zugibt, zum Therapeuten zu gehen, als sich als Mutter überfordert zu fühlen, konnte ich nur voll zustimmen – offensichtlich ist es salonfähiger, verrückt zu sein, als sich als schlechte Mutter zu outen. Über die Schattenseiten des Mamadaseins zu sprechen erschreckt, schockt und eckt an. Schließlich sollten wir doch alle mit einem Schlag vollkommen von unübertrefflichem Glück überrollt werden und jegliche eigenen Bedürfnisse automatisch vergessen, wenn wir erst mal Mama sind!

Wenn das nicht eintritt, wenn man trotz überwältigender Liebe zu seinem Kind auch manchmal einfach nur müde, genervt oder überfordert ist, wenn man trotz Freude am Mamasein manchmal auch noch etwas für sich selbst möchte, dann steht man da und fragt sich: Bin ich deswegen jetzt eine Rabenmutter? Und das will natürlich keiner von sich behaupten, das würde einen so tief im Inneren kränken, dass man es lieber gar nicht erst anspricht. Und hier beginnt der mütterliche Teufelskreis: Keine mag darüber reden und jede fühlt sich schlecht, weil sie deswegen denkt, sie wäre die einzige, die das Ideal der Bio-Brei kochenden, Kinderlieder singenden, frühfördernden Superwuzzimegamama nicht mit links erfüllt. Vielleicht mag es Mamas geben, die seit Geburt ihres Kindes noch keinen Tag an sich gezweifelt haben und für die freue ich mich wirklich von ganzem Herzen, aber für alle anderen sind Auseinandersetzungen mit dem Thema Mamasein wie sie in der Ausstellung des Lentos stattfinden, ein wichtiger Schritt zu mehr Gelassenheit und Mamastolz.

„Rabenmütter“ bietet 1000 gute Denkanstöße, um sich mit seiner eigenen Rolle als Mutter, Tochter oder Oma auseinanderzusetzen – aber am Ende des Tages muss man vielleicht auch gar nicht immer alles krampfhaft zu Tode analysieren, sondern einfach mal machen, komplett aus dem Bauch heraus (wo ja sinnigerweise auch die kleinen Racker herkommen). Ich zumindest habe durch den Tag in Linz herausgefunden, dass ich dem ursprünglichsten Mutterbild der Madonna wunderbar entspreche. Nur eben nicht der Madonna mit dem selig schlafenden Jesukindlein im Arm, sondern der Madonna, die sich im Video zu „Hung up“ im rosa Presswurst-Anzug komplett zum Affen macht. Und wenn mich das zur Rabenmutter macht, dann bin ich es mit Stolz!

Alles Infos zu “Rabenmütter“ und der sicher lustigen Rabenbaby-Tour durch die Ausstellung gibt’s hier: http://www.lentos.at/html/de/3312.aspx


Elinor Carucci: Dragging


Mittwoch, 21. Oktober 2015

Der sechste Sinn

Ich bin der festen Überzeugung, dass Kinder einen sechsten Sinn haben. Durch feinste, übernatürliche Antennen können sie jede Situation in Sekundenschnelle, oft sogar im Schlaf, ausloten und blitzschnell so darauf reagieren, dass für die armen Eltern der größtmögliche Nachteil entsteht.

Ich unterstelle den kleinen Zwergen dabei (meistens) keine böse Absicht, wahrscheinlich sind sie nur einfach biologisch darauf gepeilt, zu jedem Zeitpunkt die absolute, ungeteilte, 150%ige Aufmerksamkeit ihrer Eltern für sich zu beanspruchen. Sehen sie diese auch nur für einen Sekundenbruchteil von ihnen abwandern, reagieren die kleinen Sonnenkönige einfach prompt und stellen so die natürliche Ordnung ihrer kleinen Welt wieder her. Wo hier die Musik spielt, sagen schließlich immer noch sie, das wär ja noch schöner!

Anders kann ich es mir nicht erklären, dass Noah von Anfang an ein Meister im schlechten Timing war. „Schlecht“ bezieht sich in diesem Fall natürlich nur auf meine Sicht der Dinge, für ihn war das Timing wohl immer mehr als perfekt.

Anfangs fiel mir Noahs Talent zur Situationstorpedierung nur schleichend auf. Erst als sich am Esstisch, auf der Küchenanrichte, am Couchtisch, am Terrassentisch, am Fernsehbord, am Bücherregal, kurz gesagt so ziemlich auf jeder Abstellfläche im ganzen Haus, die Kaffeetassen stapelten, wurde mir klar, dass Noah gerade seinen eigenen Running Gag mit mir orchestrierte. Gerade in den ersten Monaten, als ich mir vor lauter Schlafmangel den Kaffee am liebsten intravenös gespritzt hätte, fing er ausnahmslos jedes Mal, wenn ich mir gerade eine frische, dampfende, duftende Tasse gemacht hatte, zu brüllen an.

Statt des ersten kostbaren Schusses Koffein also: Tasse auf der nächstbesten Ablagefläche abgestellt, zum Kind geeilt, Kaffee erst Stunden später kalt und schlierig wahlweise auf der Stereoanlage, am Nachttisch oder am Drucker wiedergefunden.

Kaum hatte Noah sein Talent erkannt, begann er sofort, es auf Profi-Niveau auszubauen. Sobald ich auch nur ansatzweise versuchte, mir statt der zerdrückten Schachtel Schokokekse zur Abwechslung mal die erste Gabel eines warmes Mittagessens in den Mund zu schieben, für drei Sekunden unter die Dusche zu hüpfen oder – Gott bewahre – kurz ein paar Minuten von „Germany’s Next Top Model“ zu erhaschen, erinnerte er mich lautstark daran, dass ich doch bitteschön meine Prioritäten schnellstens überdenken möge.

Also wieder: Mit eingeseiftem Kopf und Keks in der Hand Heidi Klum links liegen gelassen und zum Herrn des Hauses gesprintet. Ja, ich höre sie schon, die „Ein Kind muss man auch mal kurz schreien lassen!“-Zeigefingerschwinger.

Aber ganz ehrlich: Hattest du in den ersten Wochen diese Gelassenheit? Ich zumindest war weit davon entfernt, mir noch genüsslich ein Schaumbad einzulassen, während mein Sohn vor lauter Protest gerade mit seinem Gebrüll die Schallmauer durchbrach.

Außerdem hatte Noah ja nicht nur sein Lungenvolumen in der großen Baby-Trickkiste, sondern arbeitete zusätzlich mit vielen weiteren kleinen, perfiden Situationsbomben. So konnte ich zum Beispiel jedes Geld der Welt darauf verwetten, dass Noah an den zugegeben wenigen Tagen, die man in der Karenz wirklich pünktlich irgendwo sein musste, alles dafür tun würde, uns mit mindestens 10 Minuten Verspätung aus dem Haus zu bringen.

Für mich war das insofern eine völlig neue Erfahrung, da ich vor der Geburt meines Kindes ein krankhaft pünktlicher Mensch war. Ich weiß, ziemlich uncool, aber was will man machen! Mit Noah hatte ich jedoch plötzlich überhaupt kein Problem mehr damit, der letzte Stargast auf einer Party zu sein (dieses Beispiel ist rein theoretisch, für Partys war ich natürlich viel zu müde) oder mir wieder mal den letzten Parkplatz beim Kinderarzt wegschnappen zu lassen.

Kaum hatte ich nämlich Noahs sieben(hundert) Sachen verstaut, es geschafft, mich zumindest vollständig, wenn auch nicht fleckenfrei, zu bekleiden und den Autoschlüssel im Sandeimerchen zu finden, stieg mir wie das Amen im Gebet auf den letzten Metern zur Autotür ein untrüglicher Geruch in die Nase – wie sollte es auch anders sein, Noah hatte völlig unbeeindruckt von Mamas Stress, noch rechtzeitig zum Impftermin zu kommen, gepflegt einen in die Windel gesetzt… Also alles wieder rückwärts, Kind frisch gewickelt, neu angezogen und unter den bösen Blicken der Sprechstundenhilfe wieder mal zu spät beim Onkel Doktor eingelaufen.

Ebenfalls sehr beliebt war auch Noahs Kunststück „Schlaflos in PuchUrstein“, bei dem er ausnahmslos immer die Nacht zum Tag machte, wenn es für uns am Blödesten war. Der kleine Knilch konnte die gesamte Woche selig durchschlummern, doch kaum bekam er durch seine übersinnlichen Baby-Antennen Wind davon, dass Mama und Papa morgen mal zur Abwechslung beide arbeiten gehen mussten, schaltete er auf Party-Nacht-Programm. Da halfen keine Gute-Nacht-Gebete und kein hingebungsvoller Regentanz zum großen Baby-Gott: Kaum hatte man den Gedanken „Hoffentlich schläft er heute halbwegs, morgen hab ich doch gleich um 08.00 Uhr diesen unglaublich wichtigen Termin!“ auch nur halb durch seine Gehirnwindungen gelassen, saß man auch schon stündlich mit drei Schnullern bewaffnet an Juniors Gitterbett und versuchte ihn vergeblich davon zu überzeugen, dass jetzt sicher nicht die beste Zeit war, mit dem gelben Kipplaster zu spielen.

Während man selbst dann um 08.00 Uhr (bzw. 08.20 Uhr, vergessen wir nicht die vollgekackte Windel!) also mit Augenringen wie ein Gothic-Zombie seine Geschäftskollegen erschreckte und sich nur fragte, wie man den Tag überstehen sollte, ohne komatös mit dem Kopf voran in den Kopierer zu kippen, schlief Noah zu Hause bei Oma den ganzen Vormittag selig vor sich hin, damit er nachts auch wieder richtig schön fit für Mama und Papa war.

Mittlerweile habe ich mehr oder weniger aufgehört, mir überhaupt zu wünschen, dass Noah eine bestimmte Sache jetzt doch bitte unbedingt/auf keinen Fall machen soll. Denn sobald ich auch nur denke „Hoffentlich kotzt er jetzt nicht, ich bin doch schon fürs Vorstellungsgespräch angezogen“ oder mir wünsche, dass er sich doch nicht gerade jetzt auf der Stiege umdrehen möge, weil mein Go-Go-Gadgeto-Arm ihn leider unmöglich erreichen kann, bevor sein kleiner Sturkopf mit dem Wohnzimmerboden kollidiert, ist genau das auch schon passiert. Wir müssen es einfach einsehen: Mit ihrem sechsten Babysinn sind uns die kleinen Diktatoren einfach haushoch überlegen. Das ist, als müsste man einem Schachcomputer die Windeln wechseln. Oder so.

Dienstag, 20. Oktober 2015

Spielen bis der Arzt kommt

Wenn meine Tochter ankommt und mich mit großen Augen fragt „Mamaaa, spielst du mit mir?“, dann hat das ungefähr dieselbe Wirkung auf mich wie die Frage meines Frauenarztes, ob er noch schnell einen Abstrich machen soll. Oder die des Reisebüros, ob ich zur völlig überteuerten Buchung nicht auch noch eine saftige Stornoversicherung nehmen möchte. Eigentlich will man unbedingt entschieden „Nein!!“ rufen, traut sich aber aus Pflichtgefühl oder schlechtem Gewissen dann doch nicht, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Das arme Kind! Da ist es ja ohnehin schon bis 15.00 Uhr im Kindergarten und wenn wir endlich gemeinsam heimkommen, will die Mama nix lieber als die Latschen von den Hufen streifen, selbige hochlegen und endlich mal in Ruhe einen Tee und den neuesten Klatsch auf woman.at genießen – sowas von egoistisch aber auch!

Kaum hat man aber die Einkaufstasche, die Handtasche, den Laptop, den Kindergarten-Rucksack samt 12 obligatorischen täglichen Bastelergüssen (bzw. Fehlversuchen), die Post, den Schlüssel, die Skihose und acht Lieblingskuscheltiere in den Hauseingang verfrachtet, die dringenden Wünsche nach einem oder mehreren Stücken „Kuhschokolade“ und „Safti“ befriedigt, das Frühstücksgeschirr in den Geschirrspüler geworfen (wörtlich) und, ach ja, die eigene Jacke ausgezogen, nachdem man die im ganzen Haus verstreuten Strumpfhosen, Prinzessinnenkronen und und und an ihren ihnen ursprünglichen Platz befördert hat, kommt unweigerlich eingangs erwähnte, durch professionellen Bambi-Blick unterstrichene Frage.

Während ich noch den matten Versuch starte, mit „Wollen wir was malen?“ das Ruder herumzureißen (meist merkt sie erst nach 10 Minuten, dass ich ein wenig zu lange die vielen Farben bewundere, während ich mit einer Tasse Tee in der Hand verstohlen auf meinen Laptopbildschirm luge, ohne einen Strich zu zeichnen), schafft sie schon die gefürchteten Hürden heran. Es ist wieder mal Zeit Pferd zu spielen – da hilft alles nix, da muss ich durch.

Seit sich meine Tochter auf zwei Beinen halten kann, laufen mein Mann und ich auf vier, als Pferd nämlich. Wir stehen im Stall, bekommen vorgekaute Karotten und Apfelstückchen serviert, werden mit der Wurzelbürste traktiert, galoppieren (mittlerweile mit Knieschützern) durchs Haus, springen über Hürden und manchmal auch gern aus dem Fenster. Alle Versuche, meine Tochter auf Lego, Barbie & Co umzuprogrammieren, hatten nur mäßigen, eher kurzfristigen Erfolg. Am Ende stehen wir doch wieder abwechselnd, manchmal auch gemeinsam, im Stall der „bösen“ Bäuerin oder der Peitsche schwingenden Prinzessin. Unser einziger Ausweg bietet sich uns, wenn die von unserer rabiaten Pferdeflüsterin noch nicht vollends eingeschüchterten Nachbarskinder vorsichtig vorbeischauen und prompt an unserer Stelle beim nächsten Reitturnier starten oder als Pegasus über die Hecke hüpfen müssen, alles unter Androhung von Hieben, natürlich.

Manchmal frage ich mich, ob unsere Eltern auch so mit uns gespielt haben. Ich kann mich sehr gut an meine Kindheit erinnern und wenn Papa mal das Pferd war, dann höchstens für gefühlte fünf Minuten und das nur wenn er mal richtig gut drauf war. Mama wäre nie am Boden herumgeturnt, da bin ich sicher! Wir spielten in meiner Erinnerung entweder draußen oder mit unseren Geschwistern. Dass mal jemand einen verfärben Mehlklumpen auf den Tisch warf und behauptete, es wäre Plastilin oder ein stumpfes Messer zum Schnitzen entbehrte, war eher die Ausnahme. Warum um alles in der Welt bin ich dann immer das Pferd??! Wo genau habe ich den falschen Weg in Sachen elternverträglicher Spielpädagogik eingeschlagen?

Generell bin ich viel zu anfällig für spielwütige Kinder und deren Attacken. Befinde ich mich zum Bespiel gemeinsam mit anderen Müttern an (für mich eher: in) der Sandkiste im Spielplatz, bin sicher ich diejenige, die sich inmitten einer zehnköpfigen Horde Dreijähriger wiederfindet und in lautstarker Teamarbeit einen Kuchen backen lässt, während sie im Akkord „Mehl, Milch, Eier, Butter,..“ kommandiert bis die Nachtigall singt.
Es ist auch schon vorgekommen, dass ich als Hexe verkleidet zwanzig Minuten unterm staubigen Bett ausharrte, weil ich vom bösen Krokodil und der bezaubernden Prinzessin einfach vergessen wurde, die sich stattdessen einfach vor den Fernseher gesetzt hatten.

Eine Geschichte setzt dem Ganzen aber die Krone auf: Nie werde ich das Gesicht unserer Vermieterin (Gott habe den Drachen selig!) vergessen, die wie so oft unangekündigt durch unsere im Sommer unerträglich heiße Wohnung marschierte und dort meinen Mann und mich mit angelegtem Zaumzeug unter dem Tisch grasend vorfand – und das wegen der Hitze zu allem Überfluss auch noch spärlich bekleidet...

Sonntag, 11. Oktober 2015

Karussell

Jeder Tag ein neuer Schritt, ein neuer Blick
Jede Stunde ein neuer Schmerz, ein neues Glück

Mal denk ich, ich kenn dich und hab dich durchschaut
Dann drehst du dich um und nichts ist vertraut
Hast tausend Gesichter und findest erst deins
Oft gibt’s tausend Worte, doch keines ist meins

Dich kennen zu lernen, ein grelles Karussell
Mal aussichtslos langsam, mal gnadenlos schnell
So viele Leute, geliebt und vermisst
Doch keiner war spannend wie du es jetzt bist