Sonntag, 27. Dezember 2015

Drama, baby!

Ich geb’s zu: Ich seh mir gerne Casting-Shows an. Und nicht nur, weil die da alle so toll singen, tanzen oder modeln, sondern auch, weil man über das Gezicke und Getue einfach immer so herrlich schön bei einer Tüte Chips ablästern kann. Wenn ich allerdings geahnt hätte, dass das große Umstyling bei „Germany’s Next Top Model“ auf der Dramaskala klar unter einem durchschnittlichen Tag mit einem 1 ½-Jährigen liegt, hätte ich mir wohl ein bisschen genauer angeschaut, wie Heidi Klum den Mädchen beibringt, dass das ganze Rumgeheule hier nichts bringt und eine blonde Stoppelglatze jetzt leider einfach sein muss.

Versteht mich nicht falsch, an manchen Tagen ist mein Kind ein kleiner Engel (meistens an den Tagen, an denen er bei Oma ist..), aber an anderen erreicht er bereits vor 08.00 Uhr morgens einen Drama Queen-Status, der die Teilnehmer des Dschungelcamps daneben wie Lämmchen aussehen lässt. Überblicksmäßig sind unsere Tageshighlights dann in etwa wie folgt:

06.00 Uhr: Noah plärrt hysterisch durchs Babyphone und ich breche mir beim panischen Halbschlaf-Lauf ins Kinderzimmer beinahe ein Bein, weil ich über die pädagogische wertvolle Werkbank stolpere. Als ich mich besorgt übers Gitterbett beuge, verstummt das Geheule, Noah lacht, zeigt in mein Gesicht und schreit fröhlich „Nase!“. Als ich ihm erkläre, dass es zwar durchaus richtig ist, dass ich eine Nase habe, das aber kein ausreichender Grund ist, jetzt bereits aufzustehen, bricht er wieder in hysterisches Geplärre aus.

06.15 Uhr: Der erste Kampf ist gewonnen und Noah steht triumphierend im Bad. Sein stolzes Siegerlächeln weicht Indianergeheul, als er merkt, dass er sich auch heute nicht mit der Klobürste sondern mit seiner Captain Sharky -Zahnbürste die Zähne putzen darf.

06.15 – 06.45 Uhr:
Intermittierende Heulkrämpfe, weil wir heute nicht das T-Shirt mit dem Traktor anziehen, weil ich das Frühstück nicht schnell genug zubereite, weil das Frühstück nicht aus Pudding besteht, weil ich das Müsli nicht 40 sondern nur 30 Mal kühl geblasen habe.

07.15 Uhr: Noah will Haube und Gummistiefel anziehen. Ihm das bei 22°C Raumtemperatur auszureden, habe ich mir bereits abgewöhnt. Das Wutgeschrei bleibt trotzdem nicht aus, als er merkt, dass er sich beides nicht alleine anziehen kann. Als ich ihm anbiete, ihm dabei zu helfen, eskaliert die Situation. „Neeeeeein!!! Hauwe, Hauwe!“ – gibt es eigentlich so etwas wie einen Baby-Mediator?

08.00 Uhr: Ich sehe keine andere Möglichkeit als die Flucht nach draußen. Noah zeigt sich begeistert von der Aussicht, auf den Spielplatz gehen zu dürfen, bricht jedoch in Tränen aus, als ich ihm eröffne, dass wir dazu eine Jacke anziehen müssen.

08.30 Uhr: Sturz vom Rand der Sandkiste – Drama. Gescheiterter Plan, die Leiter zur Rutsche ohne Hände hochzusteigen – Drama. Erkenntnis, dass Mama sich leider nicht in die Kinderschaukel mit Bügel setzen kann, weil ihr Hintern dazu zu fett ist – Drama (auf beiden Seiten).

11.30 Uhr: „Essen! Essen!“ – „Ja sicher, mein Schatz, gehen wir heim und machen uns Nudeln!“ – „Neeeeeeeeein!!! Wuhaaaaaa!“. Unter den schockierten Blicken der gesamten Nachbarschaft schleife ich das Kind nach Hause und hoffe, dass niemand die Polizei ruft, weil er fälschlicherweise denkt, ich würde gerade ein wildfremdes Kind entführen, anstatt mein eigenes zu seinem Lieblingsessen zu bringen. Als ich endlich die Tür hinter mir ins Schloss fallen lasse und die Nachbarn wieder hinter den Gardinen verschwinden, setzt sich des Dramas 500. Akt im Vorzimmer fort. Noah schreit und stampft wie Rumpelstilzchen, weil er die Jacke ausziehen soll, die er vorher partout nicht anziehen wollte.

12.00 Uhr: Irgendwie habe ich es geschafft, eine Portion Spaghetti Bolognese auf den Tisch und den widerporstigen Purschen in seinen Hochstuhl zu bekommen. Geheul, weil das Mittagessen nicht aus Pudding besteht, wird gefolgt von Geheul, weil offenbar die falsche Anzahl Nudeln auf dem Teller liegt, wiederum gefolgt von Geheul, weil Noah zwar unbedingt mit seinem eigenen Löffel essen möchte, die Hälfte des Essens jedoch auf halbem Weg zum Mund abstürzt und zielsicher neben dem Lätzchen auf der frisch gewaschenen Hose landet. Der krönende Abschluss des Mittagsessens ist der Nachtisch – Geheul, weil er aus Pudding besteht, Noah jetzt aber doch viel lieber „Trauben! Traaaaauben!“ wollte…

12.30 Uhr: Mit letzten Kräften verfrachte ich das Kind für seinen Mittagsschlaf ins Gitterbett, lese ihm eine Geschichte vor, drücke ihm einen Kuss auf die Wange und verlasse fluchtartig den Raum. Jetzt hätte ich gern einen Schnaps. Stattdessen lasse ich mich im Wohnzimmer auf die Couch fallen und höre Noah die nächste halbe Stunde übers Babyphone dabei zu, wie er singt, plappert, turnt, seine Kuscheltiere gegen die Wand pfeffert, mit dem Bett durchs Zimmer fährt (Glaubst du nicht? Mein Kind kann das!) und sonst noch allerhand Schlafvermeidungsstrategien ausprobiert, bis ihn nach gefühlten Ewigkeiten endlich das Sandmännchen erwischt. Ich atme tief ein und aus, genieße diese unglaublich schöne Stille und überlege kurz, ob ich vielleicht einfach schnell zum Flughafen fahren soll. Ein Blick auf die Bügelwäsche, die Stapel an schmutzigem Geschirr und herumliegendem Spielzeug machen mir aber schnell klar, dass ich die nächste Stunde anders verbringen werde.

14.00 Uhr: Gerade habe ich die letzte Wäsche zusammengefaltet und möchte mir eine Tasse Kaffee holen, als das Babyphone wieder zum Leben erwacht. Kurz schöpfe ich Hoffnung, dass der Mittagsschlaf Noahs Laune etwas gebessert hat, meine naive Vorstellung wird jedoch sofort zerschlagen, als ich Noah aus seinem Bettchen hole und er feststellt, dass ich nur die fade Mama und nicht der lustige Opa bin. Wie bei „Täglich grüßt das Murmeltier“ läuft der restliche Tag dann mit kleinen Variationen (jetzt sind es die Badeschlapfen und nicht mehr die Gummistiefel) gleich ab wie der Vormittag: Noah bricht gefühlt im Sekundentakt in ein neues Drama aus und ich tröste, schlichte, schimpfe, locke, resigniere und google (Sind es die Zähne? Der Bauch? Ein Schub??) vor mich hin, bis wir abends beide erschöpft ins Bett fallen. Bevor ich in einen komatösen Schlaf sinke, denke ich noch bei mir: Morgen wird alles anders. Und wenn nicht, dann ruf ich Heidi Klum an...

Die Qual der Wahl

Das Privatkrankenhaus, in dem ich niederkommen durfte, hatte ich schon lange ausgesucht, bevor meine Tochter überhaupt nur ein Gedanke bei sachdienlichen zwischenmenschlichen Aktivitäten war. Neben der „Wellness-Hotel-Atmosphäre“ warb das besagte Etablissement nämlich unter anderem auch mit der Möglichkeit, sich seine „persönliche“ Hebamme bei einem „informellen Kennenlern-Abend“ aussuchen zu dürfen. Ich würde mir übrigens noch wünschen, der Abend wäre etwas formeller verlaufen, aber dazu später mehr…

Zu dem Kugelbauch-Event waren natürlich auch die angehenden Papis geladen. Zu meiner Belustigung waren die meisten von ihnen sowas von co-schwanger, dass sie neben ihren unförmigen Partnerinnen gar nicht weiter auffielen. Manche von ihnen rutschten unbehaglich auf den harten Plastikstühlen herum (so viel zur Wellness-Hotel-Atmosphäre!), andere schauten nur verlegen durch die Gegend oder unter vorgehaltener Hand Laola.tv auf dem Handy. Ganz findige Exemplare (ein paar Streber gibt es immer) stellten natürlich artig Fragen, die die sechs Hebammen mit Engelsgeduld – oder besser gut getarnter Genervtheit – beantworteten.

Mein Mann kam erst mal eine halbe Stunde zu spät. Für mich war das völlig ok, ich war froh, dass wir es überhaupt gemeinsam geschafft hatten, bei dem Arbeitspensum, das wir beide zu der Zeit hatten. Von der Eventleiterin wurde er aber natürlich mit hochgezogenen Augenbrauen bedacht – und ich mit den mitleidigen Blicken der brütenden Mitstreiterinnen.

Leider fand in den ersten 30 Minuten nur eine allgemeine Vorstellungsrunde der Hebammen statt, sodass mein Mann die Chance verpasste, dem nachfolgenden Highlight des Happenings zu entkommen: dem Wunder Geburt in Bewegtbild, in schön ausgeleuchteter Panoramaansicht mit exzellent authentischer Tonübertragung. Letztere war noch dazu quasi im asynchronen Echo zu hören, da im Kreißsaal nebenan gerade das Real-Life-Szenario im Gange war und die Wände offensichtlich dünn wie Papier (diesmal war der Hotelcharakter durchaus authentisch).

Während die meisten Frauen die Vorführung mit stoischer Ruhe an sich vorbeiziehen ließen, wären die Männer allesamt – und zwar auch die Streber – wohl am liebsten geschrumpft und gasförmig durch den Türspalt entwichen, da bin ich mir ganz sicher. Nach einer kurzen allgemeinen Schockstarre stellten sich die „persönlichen Begleiterinnen“ dann dem Face-to-Face-Gespräch. Wer noch nicht komplett fertig war, durfte sogar mit der Dame seiner Wahl noch den Kreißsaal besichtigen und einen Termin für den persönlichen Geburtsvorbereitungskurs vereinbaren.

Im Nachhinein glaube ich, dass man den Kreißsaal wirklich nicht vorher sehen muss. Denn eigentlich reicht vollkommen, was man bereits aus dem Fernsehen kennt – das Bild jenes Stuhls, der neben dem elektrischen wohl als einer der unbehaglichsten seiner Klasse gilt. Die kleine Badewanne, für die ich mir extra einen schicken Bikini besorgt hatte, dient meines Erachtens ohnehin nur zur Dekoration. Keine Frau, die noch ganz bei Trost ist, setzt sich wenn es hart auf hart kommt da hinein! Die Lust aufs Plantschen ist zumindest mir in der Sekunde vergangen, als mir eröffnet wurde, dass ein Einlauf durchaus zum Standardprogramm einer Privatklinik mit Wellness-Hotel-Atmosphäre gehört.

Außerdem bin ich der festen Überzeugung, dass persönliche Geburtsvorbereitungskurse total überbewertet werden. Nachdem ich meine persönliche Hebammen-Favoritin auserwählt hatte, dachte ich, ebendiese würde sich geehrt fühlen, sich eingehend mit mir und meinen Wehwehchen beschäftigen zu dürfen. In meiner Vorstellung würde sie mir voller Stolz quasi die Hand halten, bis ich selbst als frischgebackene, talentierte Wundermutti das Ruder übernehmen und mich mit meinem kleinen, strahlenden Bündel den Herausforderungen und Freuden des Elterndaseins hingeben würde. Wehmütig würde sie uns noch einmal zuwinken, während sie sich insgeheim dachte, dass ich wohl die beste und tapferste Schwangere war, die sie je „persönlich begleiten“ durfte.

In Wahrheit gab mir die liebe Frau jedoch erst mal ihre alte Handynummer, sodass ich regelrecht in Atemnot geriet, als wenige Tage später tatsächlich eine Blutung auftrat und ich schnell Hilfe und Beruhigung am Telefon benötigt hätte. Stattdessen verkündete mir eine Computerstimme relativ unpersönlich, dass unter diesem Anschluss leider niemand zu erreichen sei. Im Hinblick auf das, was noch kommen sollte, versprühte die Telefonansage aber noch einfühlsamen Charme. Als ich nämlich endlich über mein Wahlkrankenhaus die richtige Nummer herausgefunden hatte und mir mitgeteilt wurde, dass ein Wechsel zu einer anderen Hebamme aufgrund der großen Nachfrage nicht mehr möglich sei, bat ich meine ursprünglich Auserwählte zähneknirschend um einen „persönlichen Geburtsvorbereitungskurs“.

Mit einem milden Lächeln tat diese dann noch meine Blutungen ab, bevor sie mir einen Termin gab, der just mitten in ihrem Urlaub lag, was ich aber erst wieder über das Krankenhaus herausfinden musste, nachdem sie nicht aufgetaucht war. Bei dem nächsten vereinbarten Termin kam ihr eine Geburt dazwischen, was zugegebenermaßen noch gerade so als Entschuldigung durchging. Und nachdem ich tagelang wieder vergeblich versucht hatte, sie zu erreichen, kam meine Kleine – drei Wochen zu früh und „begleitet“ von einer mir vollkommen fremden, dafür aber sehr sehr lieben Hebamme auf die Welt. Ganz ohne Vorbereitung, einfach so.

Donnerstag, 17. Dezember 2015

Das Fenster zum Hof

Eine raschelnde Plastiktüte, eine Klospülung, ein simples Niesen kann in dem Moment, in dem man ein Kind endlich, endlich zum Einschlafen gebracht hat, der Sargnagel für eine gefestigte, liebevolle Beziehungen sein, um nicht zu sagen ein Scheidungsgrund. Das klingt übertrieben? Ich kenne Paare, die tagelang nicht miteinander gesprochen haben, weil er sich just in dem Moment, als das kleine Schreihälschen sich nach einem wahrlich harten Tag endlich in den Schlaf geheult hatte, tatsächlich traute, zur Haustür hereinzukommen und der kleine Dauerbrüller davon wieder wach wurde.

Überhaupt sind Väter bzw. arbeitende Partner, die nach einem harten Arbeitstag nach Hause kommen, wahrlich nicht zu beneiden, wenn sie dort ihre bessere Hälfte unisono mit dem Kind gemeinsam heulend vorfinden. Statt endlich die Latschen von den Hufen zu streifen und sich gemütlich auf dem Sofa auszustrecken, müssen sie dann erst mal den Partner wieder auf Vordermann bringen, nur um danach den kleinen Schreihals mit Dauerfliegergriff durch die Wohnung zu hieven, und das bis Mitternacht oder gern auch mal länger.

Diese Reihenfolge ist übrigens penibel genau einzuhalten, denn sollte man sich erdreisten, zuerst das nicht zu beruhigende Kind tatsächlich zu beruhigen (etwas, das der heulenden Hälfte den ganzen Tag über nicht gelungen ist), fühlt sich Letztere nämlich wie ein Vollversager und wird bis zum Morgengrauen im Tal der Tränen einchecken. Dasselbe Spiel geht dann am nächsten Tag wieder von vorne los: noch so ein schöner Tag, und noch einer – bis die Kleinen zwischendurch dann auch mal krank werden und nachts nicht mehr als ein paar Minuten am Stück schlafen. Dann wird es noch lustiger.

Eine liebe Freundin hatte so die schlimmste Nacht ihres Lebens einem profanen Magen-Darm-Virus zu verdanken. Zuerst reiherte ihre Dreijährige das gesamte Gitterbettchen voll. Inklusive Matratze natürlich, damit es so richtig weh tut und der teuflische Geruch auch nach Behandlung mit Chemie-Keule oder Weihwasser nicht mehr weg geht. Von diesem Unterfangen wurde der liebevoll Kind und Bett putzenden Mama dann so schlecht, dass sie ohne Umschweife selbst ins Wohnzimmer spie, den 5 Monate alten Sohn dabei gekonnt nebenbei im Arm schaukelnd. An sich schon eine eher unangenehme Geschichte, wurde ebendiese noch viel lustiger, als der rücksichtsvolle Papa in der Nacht von einem Gewitter im Darm geweckt wurde.

Als er seinen die Speiseröhre schnellstens rückwärts verlassen wollenden Mageninhalt herannahen spürte, war er netterweise darauf bedacht, nicht auch noch das eheliche Bett – quasi die letzte geruchsfreie Zufluchtsstätte der gesamten Familie – einzusauen und öffnete deshalb kurzerhand das Fenster, um sich lautstark dort hinaus zu übergeben. Das Ganze wäre vielleicht weniger tragisch gewesen, hätte es sich dabei nicht just um „das Fenster zum Hof“ gehandelt. Die Anspielung auf Gruselmeister Hitchcock ist hier nämlich durchaus angebracht, denn die junge, von Koliken gebeutelte Mutter sah sich daraufhin bemüßigt, den für alle Bewohner der schicken Wohnanlage zugänglichen Hof noch vor Morgengrauen mit Eimer, Schwamm und Still-BH bewaffnet vom Corpus Delicti zu befreien. Natürlich nicht, ohne sich dabei auch noch eine handfeste Erkältung einzufangen – aber das passierte Gott sei Dank ja dann erst in den darauf folgenden Tagen...

Ja, wenn die Jungfamilie krank ist – einer ist da selten allein – kann es also zu so manch grenzrealer Situation kommen. Mit Schrecken erinnere ich mich zum Beispiel noch an einen Tag im Dezember, an dem die Grippe beinhart ihre Tentakel nach uns dreien ausgestreckt hatte. Während ich mit 39,8°C Fieber verzweifelt versuchte, meiner ebenfalls fiebernden Tochter ein Zäpfchen in die richtige Öffnung zu schießen, bettelte mein Mann am Boden liegend seinerseits um den Gnadenschuss.

Beim Versuch mich zu entlasten – er hatte schließlich nur 38,6°C am Buckel – war er nämlich im Wick Medinight-Delirium ins Kinderzimmer gewankt, wo unsere Tochter vor Unwohlsein nur so wimmerte, und dabei über das strategisch ungünstig platzierte Schaukelpferd gestolpert. Hurra, genau das braucht man! Gut, es war nur Nasenbluten, aber ausgesehen hat es viel, viel schlimmer. Beim Zurückdenken ist es eigentlich fast schon wieder witzig. Aber nur fast.

Montag, 14. Dezember 2015

Kampf der Supermütter

Eines vorneweg: Aus mir spricht der reine Neid. Tief in meinem Herzen wäre ich nämlich gern selbst eine Supermutter mit drei Blinkesternchen. Eine, die ihrem Kind vor Morgengrauen bereits einen voll biologischen Hirsebrei aus eigenem Anbau kocht, ihren Nachwuchs anstatt mit düdelndem Plastikspielzeug mit pädagogisch wertvollen Fingerspielen unterhält und immer am letzten Stand ist, wenn es darum geht, welcher Sitzkissenbezug für Reisekinderstühle gerade bei Stiftung Warentest am besten abgeschnitten hat. Leider werde ich dieses Level des Supermutterdaseins aber wohl nie erreichen.

Vielmehr bin ich bereits an meinen ersten Gehversuchen gescheitert, genauer gesagt als mein Kind noch nicht mal auf der Welt war. Als hochmotivierte Schwangere besuchte ich vor der Geburt zahlreiche Kurse, um mich darüber schlau zu machen, was da so auf mich zukommen würde. Und ganz offensichtlich war das auch bitter nötig. Denn egal in welchem Kurs, bereits nach Minuten stellte sich meist unweigerlich heraus, dass ich offenbar die einzige ohne Plan und Ahnung war.

Dass ich im Babypflegekurs für Anfänger die einzige war, die tatsächlich noch nie ein Baby gewickelt hatte, schockierte mich noch weniger. Als jedoch alle anderen um mich herum ein Fachwissen an den Tag legten, als hätten sie gerade eine 400-seitige Abhandlung zum Thema Tragetuch geschrieben, ließ mich das doch beschämt zu Boden blicken. Anhock-Spreizhaltung, Saugverwirrung und Kiss-Syndrom – Hilfe, wovon redeten die da alle?!

Nicht nur dass ich von all den furchtbar wichtigen Dingen, die man als Mutter eines Neugeborenen offenbar UNBEDINGT wissen musste, noch nie etwas gehört hatte, zeigte ich offensichtlich auch viel zu wenig Ehrgeiz, was das „Projekt Baby“ betraf. Während in fröhlicher Runde diskutiert wurde, mit welchen Stoffwindeln man sein Baby am besten wickelte oder welches Babybadewannengestell nun wirklich das allerallersicherste sei, dachte ich peinlich berührt an den Berg Pampers und das selbst gebastelte Holzbrett für die Badewanne, das schon bei mir zu Hause auf den neuen Erdling wartete.

Hätten die versammelten Damen (und ich selbst!) damals schon gewusst, dass ich noch dazu nicht mal stillen würde, hätten sie mich wahrscheinlich sofort mit einem großen „Durchgefallen!“-Stempel auf der Stirn des Raumes verwiesen. Neben all den Supermüttern kam ich mir jetzt schon wie ein Vollversager vor – wie sollte das erst werden, wenn mein Baby da war?? So versuchte ich also, mich so weit wie möglich unsichtbar zu machen und traute mich nicht mal mehr, irgendwelche Fragen zu stellen, weil sie mir neben denen der anderen schlicht und einfach dumm vorkamen. Wie konnte ich jetzt einfach nur wissen wollen, was man so einem Baby eigentlich in der Nacht anzog, während die Schwangere neben mir sich gerade über die effektivste Prävention von SIDS erkundigte?

Auch bei einem Vortrag zum Thema Beikost war ich schon zwei Minuten nach Beginn der Veranstaltung unten durch, als die Vortragende wissen wollte, wer von den anwesenden Mamas denn vorhabe, die Beikost nicht selbst zu kochen, sondern Gläschen zu geben. Obwohl ich genau das geplant hatte, muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich meine halb ausgestreckte Hand blitzschnell wieder sinken ließ und so tat, als hätte ich mich nur am Kopf gekratzt, als ein Blick in die Runde mir verriet, dass keine einzige Mama außer mir aufzeigte. Als die eifrigen Köchinnen dann auch noch fragten, ob man das Getreide für den Babybrei denn auch selber mahlen könnte und was sie dabei beachten sollten, wenn sie das Gemüse im eigenen Garten anpflanzten, bekam ich Schnappatmung: Ich war umzingelt von Supermüttern!

Bereits in diesem Moment begann ich, für diese Frauen eine leidenschaftliche Art von Hass-Liebe zu entwickeln. Einerseits war ich von so viel Perfektheit einfach nur ehrfurchtsvoll fasziniert und wollte nichts lieber, als auch in den Kreis der 5-Sterne-Deluxe-Mamis aufgenommen zu werden. Andererseits hasste ich diese blöden Kühe einfach alle tief und innig. Schauten diese perfekten Frauen wirklich nachts um drei noch schnell im Garten nach den Frühkarotten?? Brachten sie mit ihren selbst gedichteten Wiegenliedern ihre Kinder tatsächlich bereits im Alter von drei Tagen zum Durchschlafen?? Und vor allem: Wie konnten sie bloß mit so einer scheinbaren Leichtigkeit frisch gestylt und mit Baby Superbrav am Arm durchs Mamadasein tanzen, während ich mit Augenringen und fettigen Haaren alle fünf Minuten versuchte, mein brüllendes Kind davon abzuhalten, sich auf die eine oder andere Art umzubringen?! Irgendetwas lief hier schief, aber ganz gewaltig!

Obwohl mich die Supermütter also wie ein strahlendes Einhorn im Mamadschungel faszinierten, lernte ich bald, mich von ihnen fern zu halten. Zu oft frustrierten mich ihre mitleidigen Blicke, wenn ich wieder mal mit brüllendem Baby/dem bei Stiftung Warentest durchgefallenen Winterfellsack/einem Gläschen Hipp ankam und auch ihre lieb gemeinten Tipps brachten mich nur regelmäßig auf die Palme: „Vielleicht solltest du einfach mal versuchen, Noah alleine einschlafen zu lassen! Also bei meiner Maus funktioniert das toll!“ „Ach, er fängt im Kinderwagen immer zu schreien an? Na vielleicht singst du ihm was vor?“…. Ganz offensichtlich lebten diese Frauen in einem vollkommen anderen Universum als ich und ich hatte keine Lust darauf, der schief beäugte Alien in ihrer Runde zu sein. Deswegen brach ich nach und nach den Kontakt zu allen Supermüttern ab und umgab mich nur noch mit meinesgleichen: mit ganz normalen Müttern, bei denen nicht immer alles babyrosa war und die vielleicht wie ich auch mal vergaßen, dem Kind ein drittes Wechsel-Outfit einzupacken.

Bis heute bin ich dem Geheimnis der Supermütter leider nicht auf die Schliche gekommen. Ich beobachte sie jedoch noch immer neidvoll aus der Ferne und versuche, von ihnen zu lernen. Wie man es schafft, immer drei verschiedene Sorten Feuchttücher parat zu haben, wenn das Kind wieder mal beschließt, im Zoo mit den Kackekötteln der Streichelziegen Plastilin zu spielen. Oder wie man seinen Nachwuchs ordnungsgemäß in den Kindersitz schnallt, ohne ihn dabei jedes Mal (nur ganz leicht!) mit dem Kopf gegen das Autodach zu ditschen.

Gerade kürzlich musste ich mir jedoch wieder eingestehen, wie wenig ich durch meine Beobachtungen bis jetzt gelernt habe: Während die anderen Mütter auf dem Spielplatz fünf verschiedene Tupperdosen mit biologischen Snacks aus der Krokoleder-Wickeltasche zauberten, mussten mein Mann und ich dem naheliegenden Würstelstand einen Besuch abstatten, weil wir vergessen hatten, etwas zu Essen mitzunehmen. Aber glauben Sie mir, die Blicke der Supermütter, als wir mitten am Spielzeugzug unsere Frankfurter mit Senf auspackten, waren es wert!