Dienstag, 14. Juni 2016

Mama-Not macht erfinderisch

Hätte mich letztens jemand dabei beobachtet, wie ich zum dritten Mal in Folge auf der Autobahn an unserem Haus vorbeigefahren bin, hätte er sich vermutlich gefragt, ob ich noch ganz bei Trost bin.

Wäre der jemand jedoch eine Mama gewesen, die am Rücksitz mein schlafendes Kind erspäht hätte, hätte sie vermutlich nicht mal mit der Wimper gezuckt.

Als Mutter macht man nämlich so allerhand Dinge, für die sich andere Leute (inklusive man selbst bevor man ein Kind bekommen hat) kräftig an die Stirn schlagen würden. Nach 18.00 Uhr die Toilettenspülung nicht mehr zu betätigen (das Kind könnte aufwachen!), selbst dann nicht mit dem Kinderwagen stehen zu bleiben, wenn einen eine Wespe in den Hals sticht (das Kind könnte aufwachen!) oder eben mit dem Auto von Hallein nach Golling nach Bergheim und wieder retour zu fahren, weil das Kind gerade eingeschlafen ist und man unmöglich von der Autobahn abfahren kann (das Kind -… ihr wisst schon!) gehören da noch zu den harmloseren Marotten.

Eines meiner persönlichen Jetzt-könnt-ihr-mich-dann-einliefern-Highlights war zum Beispiel der Jesolo-Urlaub letztes Jahr, in dem mein Mann und ich uns sobald das Kind abends eingeschlafen war, bäuchlings am Teppich gaaanz leise durch den kleinen Jalousien-Spalt des Hotelzimmers quetschten, nur um am Balkon noch ein trauriges Dosenbier zu trinken, ohne das holde Kindlein aus dem Schlaf zu reißen.

Viele dieser für normale Menschen kaum nachvollziehbaren Aktionen haben mit dem Thema Schlaf zu tun, es gibt aber auch andere Bereiche, in denen einen die Not erfinderisch macht. Mittlerweile habe ich ein ganzes Arsenal an Vermeidungsstrategien entwickelt, mit denen ich so manches Alltags-Drama (meistens) umschiffen kann.

Am Frühstückstisch wird das Marmeladeglas so lange hinter der Blumenvase versteckt, bis das Kind auch was Gesundes gegessen hat, im Einkaufszentrum kenne ich den genauen Millimeter, an dem man abbiegen muss, um das münzfressende Selbstfahr-Auto nicht in Sichtweite kommen zu lassen und potentiell gefährliche Wörter wie „Schokolade“, „Schnuller“ oder „Stirnlampe“ (ja, für mein Kind ist das mindestens so toll wie eine Tafel Milka!) werden im täglichen Sprachgebrauch wie bei „Activity“ kreativ umschrieben.

Nennt es Inkonsequenz oder einfache erzieherische Inkompetenz, aber ohne diese Tricksereien würde bei uns regelmäßig schon vor dem Frühstück der Haussegen schief hängen. Und da nimmt man eben gerne mal in Kauf, dass man sich mit einem Stück Schokokuchen vor dem Kind klammheimlich am Klo verstecken muss…

Mittwoch, 8. Juni 2016

Verbotener Freigang

Zu den Freuden des Jungmutter-Daseins gehört heutzutage ja auch der Besuch eines Rückbildungs-Gymnastikkurses. Neben Damm-Massage, Stillhütchen & Co ist das noch so eine Sache, von der einem vorher nie jemand was erzählt hat.

Warum zeigt Constanze Rick in „Prominent“ zum Beispiel Heidi Klum, wie sie sechs Wochen nach der Geburt wieder rank und schlank am Victoria’s Secret Catwalk entlangläuft und nicht, wie sie gemeinsam mit zehn anderen schwabbeligen Neo-Mamis auf der Turnmatte liegt und ganz fest versucht, ihren Beckenboden zu visualisieren, damit sie nicht mit 50 inkontinent wird?

Ganz abgesehen davon, dass so ein Kurs ein eigenes skurriles Kapitel für sich wäre („Und jetzt ertasten wir mal alle gemeinsam unser Schambein!“), bescherte er mir schon vor Beginn wieder mal einen dieser ganz besonderen Mama-Momente.

Während ich vor der ersten Kurseinheit im Flur wartete und die rüstigen Omas vom Vorkurs aus dem Gymnastikraum quollen (die Inkontinenten ohne Rückbildungskurs?), beäugte ich interessiert die anderen Mamas, die mit mir gemeinsam turnen sollten. Und während ich mir so eine nach der anderen ansah, wurde mir siedend heiß bewusst, dass sie alle etwas hatten, das ich nicht hatte.

Und damit meine ich nicht ein gut sitzendes Makeup, nein – während ich nur mit meiner Tasche am Schoß dasaß, hatten alle anderen dort ihr Baby sitzen. Ich war die einzige Rabenmutter, die ihr Kind nicht zum Kurs mitgenommen hatte!

Als komplette Außenseiterin versuchte ich trotzdem, mit den anderen Mamas ins Gespräch zu kommen und geriet sofort in Erklärungsnot. Wo denn mein Kind sei? Warum ich es denn nicht mithätte? Wie ich das denn so lang aushielte ohne ihn?

Diese drei Fragen klingen auf den ersten Blick vielleicht leicht zu beantworten, aber in Wahrheit zogen sie wieder mal einen Rattenschwanz an Wahrheiten, Halbwahrheiten und Zweifeln hinter sich her. Die offiziellen Antworten waren schnell gegeben: Mein Kind war bei der Oma, ich hatte es nicht mit, weil es im Gegensatz zu allen anderen anwesenden 2-3 Monate alten Babys bereits fast 9 Monate alt und somit höllisch mobil war und ich hielt es natürlich schwer ohne ihn aus, aber eine Stunde würde schon irgendwie gehen.

Und nun zur inoffiziellen Version. Noah war tatsächlich bei meiner Mutter, so weit so gut. Auch das mit dem Alter und der Mobilität stimmte. Nach meinem Kaiserschnitt hatte ich mit dem Rückbildungskurs ohnehin länger warten müssen als normal, dann waren im Sommer keine Kurse gewesen und mein innerer Schweinehund hatte es mir erst Anfang des Winters erlaubt, mich tatsächlich für einen 90 Euro teuren Kurs, zu dem ich eigentlich gar nicht gehen wollte, anzumelden. Angeblich war es ja nie zu spät dafür, gleichzeitig aber ENORM wichtig, Inkontinenz lässt grüßen und so weiter und so fort.

Während die anderen Babys während des Kurses glucksend auf der Matte lagen, wäre Noah mit 9 Monaten also kreischend durch den Saal gekrabbelt, hätte gleichzeitig versucht, die Sprossenwand zu erklimmen, mir die Hose auszuziehen, die Turnmatte aufzuessen und den anderen Kindern die Augen auszupieksen.

Zu meinen tollen Beckenboden-Übungen wäre ich also keine Sekunde gekommen. Nur war das eben nicht der einzige Grund. Schlagt mich tot, aber ich hatte mich auf die Stunde ohne Kind ehrlich gesagt gefreut und hielt es sogar wunderbar mal für so kurze Zeit ohne ihn aus, ohne mich gleich tränenüberströmt danach zu verzehren, im gleichzeitig etwas aus der Hand zu reißen, das er nicht haben durfte und ihm dabei die verschmierte Banane aus den Haaren zu klauben.

Und , aloha, schon war es wieder da, das Versager-Mama-Gefühl: Warum hielten es alle anderen Mütter scheinbar keine Minute ohne ihr Kind aus? Warum brach ihnen das Herz, wenn sie eine Nacht mal nicht 5 Mal hintereinander aufstehen mussten, um es wieder in den Schlaf zu wiegen? Warum konnten sie nicht anders, als beim Abendessen alle drei Sekunden verstohlen auf ihr Handy zu blicken, ob der Papa von zu Hause nicht einen süßen Schnappschuss des kleinen Lieblings geschickt hatte? Und die viel wichtigere Frage: Warum konnte ich das alles wunderbar und genoss es sogar, mal wieder frei und ungebunden zu sein?

Als Noah etwa ein halbes Jahr alt war, war ich sogar mit meinen beiden besten Freundinnen auf unser jährliches Mädels-Wochenende gefahren, samt Übernachtung und zweitägiger Abwesenheit. Und anstatt vor lauter Sehnsucht nach meinem Kind dort in meinen Cocktail zu heulen, hatte ich doch tatsächlich Spaß! Ich hatte es genossen, mal wieder einfach Rolltreppe fahren zu können, anstatt das ganze Haus nach einem Lift abzusuchen, ich hatte es toll gefunden, nur mit einem kleinen Rucksack am Rücken das Haus zu verlassen, es war einfach himmlisch für mich, eine ganze Nacht ungestört durchzuschlafen und mich am Morgen noch fünf Mal genüsslich in den Federn umzudrehen.

Ehrlich gesagt hatte ich mich sogar bei dem Gedanken ertappt, wie schnell man sich doch wieder an ein Leben ohne Kind gewöhnen könnte. Machte mich das wieder mal zur Top-Favoritin für die Rabenmutter des Jahres?

Soll ich euch was sagen? Ich glaube nein. Ich glaube, dass man die Zeit ohne Kind als moderne Super-Mutter wieder mal einfach nicht genießen darf. Weil man dann ja automatisch sein Kind nicht genug liebt. Von allen Seiten hört man zwar „Nimm dir mal ne Auszeit! Lass dir doch mal helfen und tu auch was für dich!“, aber wenn man es dann tatsächlich tut, erntet man von allen Seiten nur schiefe Blicke. Teilweise ist das vielleicht sogar einfach nur Neid.

Warum darf die jetzt mit ihren Mädels Pizza essen gehen, während ich wieder mal drei Stunden lang versuchen werde, mein Kind in den Schlaf zu hoppern? Was bildet die sich ein, dass sie mit ihrem Mann gemeinsam ins Kino geht, während ich mich mit meinem zu Hause darüber streite, wer vergessen hat, die Windeln einzukaufen?

Als Mutter darf man offensichtlich nichts lieber tun, als seine Zeit mit seinem Kind zu verbringen, und das ununterbrochen und zu jeder Tages- und Nachtzeit. Man selber hat keine Bedürfnisse oder Wünsche mehr zu haben, schließlich ist man ja jetzt Mama, und das mit Leib und Seele! Anfangs machte ich mir deswegen selbst die Hölle heiß. Warum hatte ich mich offensichtlich selbst nicht genug im Griff, dass ich meine egoistischen Wünsche für mich selbst nicht abstellen konnte? Warum fand ich es nach einer Woche nonstop Noah nicht toller, mit ihm Bauklötzchen zu spielen, als mich mal für 30 Minuten in die Badewanne zu legen? Irgendwann wurden mir die Selbstvorwürfe Gott sei Dank zu müßig.

Heute nehme ich mir die wenigen Auszeiten, die ich vom Mamasein bekomme, mit Genuss. Ich weiß, dass es Noah bei Papa oder Oma wunderbar geht und er deswegen nicht gleich meint, ich hätte ihn für immer verlassen. Ich habe akzeptiert, dass ich in meinem Leben eben auch noch etwas anderes bin als „nur“ Noahs Mama und mir ruhig auch mal erlauben darf, ohne ihn so etwas wie Spaß zu haben.

Wenn ich dann wieder mal mit meinen Freundinnen auf einen Kaffee war oder eine Nacht durchgeschlafen habe, wenn ich eine Stunde allein shoppen war oder mit meinem Mann auf ein Glas Wein, dann bin ich wieder stärker, fröhlicher und freue mich auf mein Kind. Dann bin ich wieder mehr ich selbst und gleichzeitig mehr Noahs Mama. Wenn mich das zur Rabenmutter macht, dann soll es so sein. Zumindest bin ich dann eine Rabenmutter, die nach Schaumbad und Kaffeehaus duftet.