Mittwoch, 16. Mai 2018

Das Quetschi-Dilemma

Es gibt ein paar Kinderprodukte, für die ich eine glühende Hass-Liebe empfinde. Eigentlich wären sie dazu da, den Alltag mit den kleinen Despoten zu erleichtern. Zumindest bei uns haben sie aber leider oft genau den gegenteiligen Effekt. Nicht immer, denn dann könnte man ja einfach sagen: Gibt’s nicht und aus. Nein, das Problem ist etwas kniffliger! Manchmal sind diese Dinge kleine Lebensretter, das nächste Mal Auslöser allergrößter Dramen. Was es diesmal wird? Weiß man vorher leider nicht. Ich nenne es: das Quetschi-Dilemma.

Das Quetschi
Fangen wir doch gleich mit dem Namensgeber meines Dilemmas an. Ohne genau zu wissen, was ich damit meine, beschleicht einige Mamas jetzt wahrscheinlich schon eine leise Vorahnung. Erinnert euch doch mal an das letzte Mal, als ihr eurem kleinen Schatz ein Quetschi in die Hand gedrückt habt… na? Genau! Aber halt, zuerst mal für alle Supermütter, die vielleicht gar nicht wissen, was ein „Quetschi“ ist. Die meisten Kinder, die nicht rein auf Basis von Biokarotten und Kohlrabi-Sticks großgezogen werden, verstehen darunter die kleinen Beutel mit Obstpüree, die man eben zusammenquetscht, damit oben das süße Zeug rauskommt.

Mehr als ein Mal haben die kleinen Dinger mir ein riesengroßes Drama erspart. Im Supermarkt, im Wartezimmer, auf der Kirchenbank während der Hochzeit der liebsten Kollegin – bevor die Situation zu eskalieren droht, schnell ein Quetschi in die Hand und die nächsten fünf Minuten ist das Kind selig.

Das Dilemma daran? Ich sage nur: „Eeeerst in den Mund, dann drücken!“ Hätte ich für jedes Mal in meinem Leben, wo ich diesen Satz gesagt habe, 50 Cent bekommen, wäre ich heute Millionärin. Angekommen ist er trotzdem nie. Unweigerlich werden auf halbem Weg zum Mund beide Fäustchen freudig um das Quetschi gepresst, dass die Maracuja-Fontäne oben nur so explodiert. Kind voll, Mama voll, Kirchenbank voll, Drama weil abwischen, Drama weil kein Quetschi mehr im Beutel…. ihr wisst, was ich meine.

Das Kinderwagerl
Viele Supermärkte bieten mittlerweile neben den normalen Einkaufswägen auch Miniaturversionen davon für Kinder an. Und versteht mich nicht falsch: Meine Kinder lieben es! Bereits auf der Hinfahrt ist das einzige Gesprächsthema, ob es dort, wo wir hinfahren, auch ein Kinderwagerl gibt. Was meine Kinder nicht wissen: Oft fahre ich absichtlich lieber zum einzigen Supermarkt in der Umgebung ohne solche Wagerl. Besonders seit ich zwei von den Zwergen haben, bricht mir sonst mit dem Kinderwagerl regelmäßig der Schweiß aus. Abgesehen davon, dass der Kleinere sofort einen hysterischen Heulkrampf bekommt, weil er noch zu klein für so ein tolles Gefährt ist und stattdessen voll fad bei Mama im großen Einkaufswagen sitzen muss, beginnt bereits nach geschätzten 2,5 Metern der Spießrutenlauf mit dem stolzen Wagerlschieber.

Ich kann ihn noch so oft ermahnen, dass er damit aber brav sein muss – schwupps, schon düst er mit Vollgas mit seinem Racing-Wagerl durch die Obstabteilung, kracht abwechselnd gegen Salatkisten und Fersen von armen Mit-Einkäufern und nimmt johlend die Kurve in die Weinabteilung, in der schon gefährlich die ersten Flaschen wackeln.

Währenddessen versuche ich, dem entlaufenen Kind mit dem großen Einkaufswagen nachzurennen und dabei links und rechts wenigstens ein paar Dinge in den Wagen zu werfen, wegen denen ich eigentlich in den Supermarkt gekommen bin. Habe ich dann schimpfend wie ein Rohrspatz das große Kind erreicht, erklärt mir dieses, dass es jetzt sowieso kein Wagerl mehr haben will und ich darf den Rest des Einkaufs lang versuchen, mit jeder Hand jeweils einen Wagen durch die Gänge zu bugsieren, während beide Kinder sich neben mir alles aus den Regalen greifen, was zu teuer, ungesund oder verboten ist.


Das Bällebad
Quasi der Walk of Shame der modernen Mutter. Erst denkt man sich: Ach schau, wie nett ist das denn? Ein gratis Bällebad direkt hier im Einkaufszentrum mit einer Bank daneben, auf die ich mich jetzt echt gern setzen würde! Zack, schon sind dem Kind die Schuhe ausgezogen und es wird mit Untertassengroßen Augen ins Bällebad entlassen.

Und tatsächlich: Ganz plötzlich ist alles so, wie man es sich gerade noch beim kräftezehrenden Lebensmitteleinkauf gewünscht hat. Die Kinder toben lachend und juchzend mit anderen durch das Bällebad, die bunten Kugeln wirbeln herum, man selber sitzt bestimmt schon fünf – nein zehn, jetzt werden es schon zwanzig! – Minuten auf der Bank und tut einfach gar nichts, außer ab und zu ein Handyfoto von den süßen Kleinen zu machen. Manchmal kann das Leben mit Kind so einfach sein!

Wenn es nach einer halben Stunde jedoch schön langsam auf Mittag zugeht oder man eigentlich schnell noch in die Apotheke wollte, beginnt das Problem. Erste Warnung für das Kind: „Schatzi, noch fünf Minuten und dann müssen wir fahren!“ Für die johlende Hupfdohle unter den bunten Bällen ist man komplett Luft. Fünf Minuten später: „Schatzi, jetzt müssen wir dann aber wirklich fahren, kommst du raus?“ Bestenfalls ignoriert einen das Kind weiter, schlimmstenfalls beginnt es bereits jetzt, sirenenmäßig zu heulen. Obwohl man eigentlich schon vor fünf Minuten beim Kinderarzt, der Schwiegermutter oder der Post sein wollte, lenkt man schnell ein – immerhin schauen jetzt schon alle anderen Mamas her. „Na gut, aber wirklich nur noch fünf Minuten!“ 

Selbstverständlich weigert sich das Kind auch nach weiteren fünf, zehn und auch fünfzehn Minuten vehement, das Bälleparadies jemals wieder zu verlassen. Und weil jetzt wirklich langsam der Hut brennt, lässt man als Mama auch noch den letzten Krümel Würde sausen, schwingt sich gemeinsam mit 3.000 quietschenden Kleinkindern in das viel zu kleine Bällebad und schleift sein brüllendes, hysterisch um sich schlagendes Kind vor den tadelnden Augen aller anderen Mütter (denen es in fünf Minuten genau gleich ergehen wird) aus dem Spaßparadies. Schweißgebadet packt man den tobenden Spross endlich in den Buggy und greift erleichtert in die Tasche – Gott sei Dank: noch ein Quetschi da…!

Winter ade, scheiden tut nicht weh

Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr mir dieser Winter gestohlen bleiben kann! Zugegeben, ein richtiger Winterfan war ich noch nie. Ja sicher, wenn es zu Weihnachten weiße Flöckchen rieselt und der Pulverschnee auf den Wiesen glitzert, finde ich das auch schön.

Aber ganz ehrlich: Wenn mein Tag schon damit beginnt, dass ich beim ersten Schritt aus der Haustür halb auf einer Eisplatte ausrutsche, mir der graue Matsch oben in die Stiefel rinnt und ich mir beim Autoabscheren mit meinem Werbegeschenk-Eiskratzer das Kreuz verreiße, kann ich all dem nichts mehr abgewinnen.

Und seit ich Kinder habe, bin ich vom Winter-Nicht-Haben-Müsser zum absoluten Winterhasser mutiert. Ich weiß, das darf man ja eigentlich gar nicht laut sagen. Man kann im Winter doch so viele tolle Sachen mit den Kids machen! Rodeln! Skifahren! Iglu bauen! Und ja, ich hatte mir früher auch vorgestellt, wie schön so ein Winter mit kleinen Zwergen sein müsste. Mit roten Apfelbäckchen sah ich uns gemeinsam durch den Schnee toben, mannshohe Schneemänner bauen und den Schneeflocken hinterherjagen.

Die Realität sieht bei uns aber leider so aus, dass meistens mindestens zwei von drei Beteiligten die Nerven schon weggeschmissen haben, bevor wir überhaupt das Haus verlassen. Ich hätte es ehrlich nie für möglich gehalten, was für schweißtreibende Arbeit es bedeutet, einen 1-Jährigen, einen 3-Jährigen und sich selbst in passende Winterkleidung zu quetschen. Wo fängt man dabei überhaupt an?? Zuerst sich selbst verpacken, damit man nur noch die Haustüre aufreißen muss, wenn beide Kinder endlich fertig sind – und dafür wie ein Michelin-Männchen daran scheitern, die Kleinen in die Handschuhe zu bugsieren? Oder zuerst die Kinder anziehen, die dann weinend darauf warten müssen, bis auch Mama endlich den Knopf von der alten Skihose zubekommen hat?

Egal, für welche Variante ich mich entscheide – ich bin regelmäßig schweißgebadet, wenn ich eine gefühlte Stunde später endlich beide Kinder in Skihose, Skijacke, Stiefel, Schal, Handschuhe und Mütze gepackt habe. Irgendwie hat das ganze Szenario ein bisschen was von Schokolade-Schneiden am Kindergeburtstag: Während man den einen anzieht, zieht sich der andere schon wieder die Eisbärenhaube vom Kopf und hat man selber endlich das letzte Teil des wenig schmeichelhaften Schnee-Outfits übergeworfen, würfelt auch schon jemand einen Sechser – bzw. pfeffert in unserem Szenario in die Windel und alle Beteiligten können sich wieder ausziehen…

Draußen will sich der Spaß dann auch nur tröpfchenweise einstellen. Juhu, ein Schneehaufen! Patsch, der 1-Jährige fällt dank der nicht vorhandenen Flexibilität seines gigantischen Astronauten-Skianzugs Gesicht voran hinein und fängt bitterlich zu weinen an. Die Schneeschaufel kann er wegen der klobigen Handschuhe nicht greifen – Heulkrampf Nummer 216. Dem Großen rutscht inzwischen zum 100. Mal die Schneehose das Wadl rauf und eine regelrechte Lawine ergießt sich von oben in seine Stiefel. Dazwischen ziehe ich mir im Minutentakt die eigenen Handschuhe an und wieder aus, um abwechselnd jeweils einem Kind die verdammten Fäustlinge wieder anzuziehen, die sie bei jeder Bewegung verlieren.

Nach gefühlten Stunden, die auf der Uhr in Wahrheit nur 20-30 Minuten waren, geben wir auf und flüchten nach drinnen zu einer Tasse heißem Kakao. Die Skiklamotten zum Trocknen aufzuhängen und den Boden von den mit nach drinnen getragenen Schneepfützen zu säubern, dauert eindeutig länger als unser ganzer lustiger Schneeausflug…

Was mir an diesem Winter aber so richtig, richtig gestohlen bleiben kann, sind die Killerviren, die er uns dieses Jahr beschert hat. Seit das Thermometer zum ersten Mal die 10-Grad-Marke unterschritten hat, ist immer mindestens einer von uns krank. Andauernd. Immer. Kaum ist der eine wieder fit, fängt der nächste an, zu husten – und bei jeder 3. Runde machen alle anderen auch noch mit.

Ich spare mir jetzt die Beschreibung der Szenen, die sich abspielen, wenn alle vier Familienmitglieder gleichzeitig krank sind – jeder, der es schon mal erlebt hat, weiß, wie knapp man an einem Nervenzusammenbruch vorbeischlittert…

Es ist aber auch schon schlimm genug, wenn nur die Kinder krank sind. Als Mama wechselt man den ganzen Tag zwischen Wärmflaschen-Tröster und Super-Animateur, ist dabei von oben bis unten in Kinderrotz geduscht, und rotiert nachts zwischen zwei Betten mit bitterlich weinenden Fieberzwergen.

Das Schlimmste daran ist die absolute Hilflosigkeit, die man dabei empfindet. Egal wie viele feuchte Tücher man im Kinderzimmer aufhängt, wie hoch man den Kinderpolster noch drapiert, gleichgültig wie viele Salven Nasenspray und Kinderschmerzmittel man den Kleinen reinpfeift – in Wahrheit dauert die Erkältung eben so lange, wie eine Erkältung dauert.

Ist es keine Erkältung, sondern für ein bisschen extra Spaß sogar noch eine Mittelohrentzündung, Angina oder – Jackpot! – die echte Grippe, kann man sich sicher sein, dass diese genau dann den „Also jetzt müssen wir aber wirklich doch zum Arzt!“-Punkt erreicht, wenn der letzte Kinderarzt für diese Woche seine Pforten geschlossen hat. Dann heißt es wieder mal: Auf zum lustigen Wochenendausflug in die Kinderambulanz! Was kann es an einem Samstagabend schließlich Schöneres geben, als drei Stunden im Wartebereich zu verbringen, nur damit anschließend ein gefühlt 12-jähriger Assistenzarzt neben einem erst zu googeln anfängt, welches Antibiotikum man Kindern überhaupt so geben darf?

Ich weiß, dass es diesen Winter vielen ähnlich gegangen ist. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Mamas nur zwei Stunden Schlaf pro Nacht bekommen haben, weil sie dem kranken Kind stattdessen nasse Waschlappen auf die heiße Stirn gedrückt haben. Wie viele Papas in den letzten Monaten mit ihren Kindern ein wahres Wrestling-Match aufgeführt haben, um ihnen zumindest einen Milliliter Antibiotikum in das bombenfest zugepresste Mündchen zu drücken. Deshalb lasst uns jetzt doch bitte einfach alle gemeinsam einen Wunsch ins Universum schicken: Frühling, schwing gefälligst deinen Arsch hier her, aber ein bisschen pronto!