Samstag, 30. Mai 2015

Die Kraft der Visualisierung

Ich empfinde gleichermaßen Faszination und Ekel gegenüber Partnern, die mit Videocam oder Panorama-Shot-geeichtem Smartphone einfach draufhalten, wenn das Wunder Geburt seinen Lauf nimmt, nicht selten begleitet von euphorischem Anfeuerungsgejohle: „Du schaffst das! Du hältst dich toll, Schatzi! Ja, press! Ja, mach, jaaa, ich seh schon den Kopf...!“ Mich persönlich hätte so etwas ganz ernsthaft dazu veranlasst, jemandem einen Schuss ins Genick zu jagen und zwar aus nächster Nähe – das heißt, wenn ich zufällig in meiner Ernstfalltasche (dazu in einem anderen Kapitel mehr) zwischen all die rosa Strampler auch einen Revolver gepackt hätte.

Ich konnte es in der tatsächlichen Nahkampf- oder besser Nahtodes-Situation nicht einmal ertragen, als die Hebamme mit Engelsgeduld meinte, ich solle doch mal meine Schenkel mit den Händen umklammern. Statt ihrer Anweisung zu folgen, brüllte ich ihr mit Inbrunst (oder zumindest dem letzten Quäntchen Energie, das meinem Körper noch innewohnte) entgegen, dass sie doch wohl selber sehe, dass ich gelähmt sei – und das meinte ich todernst!

Allerdings habe ich besagten Bewegtbild-Sadisten tatsächlich irgendwie zu verdanken, dass ich das „Wunder Geburt“ halbwegs glimpflich überstanden habe. Wie das, fragen Sie? Nun ja, mein Mann arbeitet im Fußball. Und im Sport ist Visualisierung eine hilfreiche Methode, sich Spielabläufe einzuprägen. Das hat mich in der 36. Schwangerschaftswoche dazu veranlasst, meiner Angst vor dem bevorstehenden Großereignis den Kampf anzusagen und mich dem Thema Geburt auf Youtube zu stellen. Ziel war es, wenigstens ein Video zu finden, das mir würdig genug erschien, es zu visualisieren und bei meiner Niederkunft in die Tat umzusetzen.

Vorneweg muss man vielleicht sagen, dass ich mir die Geburt insgeheim ungefähr so vorgestellt hatte: Ein blütenweißes Tuch auf den Schenkeln und ein kompetenter Arzt (und, na gut, wenn es unbedingt sein musste auch noch eine Hebamme), der mir furchtbar dezent und professionell dort unten Unterstützung leistet. Kurzum: Ich wollte das Ganze so ästhetisch wie möglich gestalten („Arabische Geburt“ meinte meine Wunschhebamme dazu) – bei einer Privatversicherung, die einen an den Rand des finanziellen Ruins treibt, sollte das doch wohl kein unmögliches Unterfangen sein!

Natürlich versuchte ich auch, den ganzen Natürlichkeits-Klimbim zu verstehen. Blut und Käseschmiere (mein Mann hat sich allein bei dem Wort schon fast erbrochen) waren mir durchaus ein Begriff und ich ließ mir auch einreden, dass meine Kleine nicht vorher gewaschen wurde, bevor sie mir zum Kuscheln auf das blütenweiße Lieblingshemd gelegt wurde – so  verschroben war die Frau Akademikerin ja dann auch wieder nicht. Warum ich nicht gleich einen Kaiserschnitt gewählt habe? Glauben Sie mir, nach eingehender Youtube-Recherche mehrerer Kaiserschnitt-Videos konnte ich voller Überzeugung sagen, dass ich mir das nicht freiwillig antun wollte. Splitternackt aufgebahrt werden, sich überhaupt nicht bewegen zu können und dann auch noch aufgeschlitzt werden – ne du, das klang für mich ungefähr so glamourös wie eine Hämorrhoiden-Entfernung.

Aber zurück zu meinem Projekt „Visualisierung“: Bewaffnet mit einer Tasse Tee und ein paar Keksen machte ich es mir also vor dem Computer gemütlich und tippte hochmotiviert „Geburt“ in das Youtube-Suchfenster ein... und wurde mit dem puren Grauen konfrontiert.

Aus dem ersten Video lachte mir eine 08/15-Familie mit einem kleinen Buben und einem Mädchen von vielleicht zwei, drei Jahren entgegen. Zuerst dachte ich, mich versehentlich in deren private Urlaubsvideos geklickt zu haben, bis ich bemerkte, dass das Planschbecken, in dem die Kinder so süß herumtollten, mitten im Wohnzimmer stand und die Mama im Hintergrund nicht nur nackt war, sondern für ein durchschnittliches Urlaubsvideo auch ziemlich gequält stöhnte. Der werdende Papa/Kamerakünstler fummelte unterdessen immer wieder mit seinen Griffeln ins Bild und zwischen die Schenkel seiner Holden. Obwohl mir das Grauen schon ins Gesicht geschrieben stand, MUSSTE ich einfach weiter hinsehen. Und Gott sei Dank bescherte mir der talentierte Hobbyfilmer auch glatt einen Zoom direkt in das Zentrum des Tatorts. Oh... was machte der Typ da bitte? Wollte er etwa mit seinen Wurstfingern einhändig das dicht behaarte Köpfchen drehen oder dem Baby begleitet von viel Blut und sonstigem Allerlei zu seinem ersten Tauchgang verhelfen?!

Nein, nein und nochmal nein, das hatte ich gerade alles nicht gesehen! Während ich das Video schnell wegklickte, strampelte Leni wie zur Bestätigung kräftig in meinem Bauch. Weiter ging es also mit dem nächsten Suchergebnis, das immerhin an die 2 Millionen Views erzielt hatte: Ein dicker Teenager schrie sich die Seele aus dem Leib, während ihre unglückliche Mutter – selbst kaum älter als 20 – sehr hilfreich daneben meinte, sie hätte doch mal lieber verhütet. Ob sie damit sich oder ihre Tochter meinte, sei dahingestellt. Och, lieber umschalten, dachte ich, und entdecke ein Hebammen-Schulungsvideo einer japanischen Uniklinik. Fasziniert verharrte ich bei dem einzigen männlichen Teilnehmer, der gerade einer Säuglingspuppe beim Versuch, sie aus dem Plastikuterus zu ziehen, den Kopf abdrehte.

Vielleicht war das mit Youtube doch keine so gute Idee, alles Spinner, dachte ich bei mir – und dann entdecke ich es: das Video, das ich visualisieren würde. Eine junge, attraktive Amerikanerin presste tapfer ihr Kleines aus ... naja, wo das Ganze eben rauskommt, während ihr Partner sie anfeuerte und dabei mitfilmte. Gut, ihn hasste ich, aber sie, sie wurde zu meiner Heldin und ich danke den beiden noch heute für dieses Video. Denn genau so oder so ähnlich war es dann auch bei mir. Mission Visualisierung erfolgreich abgeschlossen, probieren auf eigene Gefahr!

Montag, 25. Mai 2015

Bestens vorbereitet

Bei der ersten Schwangerschaft macht man ja gern noch jeden Scheiß mit. Ob man sich das bei der zweiten nochmal alles antut, wage ich zu bezweifeln – in Anbetracht der Tatsache, wie viel Freizeit einem mit einem kleinen Kind bleibt, würde ich eher annehmen, dass man dazu schlicht und einfach keine Zeit mehr hat. Beim ersten Mal ist man aber noch so richtig schön Lifestyle-schwanger und rennt vom Schwangerschafts-Yoga zum Akupunktieren und vom Shiatsu zum Himbeerblättertee-Kauf. In den letzten Wochen war meine Schwangerschaft regelrecht zum Ganztagsjob mutiert: Wo sollte zwischen Heublumensitzbädern, Yogi-Tee und Babypflege-Workshops denn noch mein nächster Akupunktur-Termin reinpassen?

Zum Teil macht man diese ganzen Sachen aus einer einzigen Hoffnung heraus: Die Geburt möge möglichst kurz, schnell und schmerzlos verlaufen. Man studiert Internetseiten und befragt Ärzte, Hebammen und Freunde – und jede Möglichkeit, die „helfen" soll, wird unweigerlich ausprobiert. Dabei sind das bei Gott nicht alles schöne Freizeitbeschäftigungen. Nie werde ich das Gefühl vergessen, als ich meiner Familie zu Beginn die frohe Botschaft überbrachte und daraufhin von meiner Schwägerin in der 13. Schwangerschaftswoche eine Flasche Damm-Massage-Öl geschenkt bekam...

Besonders rückblickend bin ich natürlich froh, dass ich fleißig akupunktiert, massiert, geölt, gecremt, getrunken und was weiß ich noch alles habe – schließlich hat mir das alles beim Notkaiserschnitt sehr geholfen...! Aber man soll ja nicht zynisch sein – vielleicht HÄTTEN mir alle diese Sachen ja geholfen, wären die Dinge etwas anders gelaufen.

Was mir jedoch nicht wirklich weiterhalf, waren die vielen Kurse, die ich im exzessiven Schwangerschaftswahn einen nach dem anderen belegte. Beim Schwangerschafts-Ernährungs-Workshop wurde ich nicht von den Socken gehaut von der Erkenntnis, dass ich jetzt mehr Gemüse und weniger Schokolade essen sollte und beim Schwangerschafts-Yoga kamen mir ernste Zweifel, als mir beim Versuch, eine Kerze zu machen, mein Bauch ins Gesicht fiel. Als mir meine Ärztin in der 30. Schwangerschaftswoche eröffnete, dass ich lieber kein Yoga mehr machen sollte, war ich also nicht allzu traurig – alleine schon deswegen, weil ich jeden Kurs in der ständigen Angst durchlebte, dass dieses Mal ICH die Schwangere sein könnte, der beim „Herabschauenden Hund" ein lauter Furz entwich.

Nahtlos wechselte ich also vom Yoga-Kurs zum Geburtsvorbereitungskurs, der dem Ganzen in gewisser Weise die Krone aufsetzte. Ich hatte ja schon zahlreiche Schauergeschichten von Gruppen-Hecheln und frischen Plazentas gehört, die als Schauobjekt extra aus dem Kreißsaal herangebracht wurden, deshalb ging ich zum ersten Treffen gelinde gesagt mit gemischten Gefühlen.

Der Eindruck wurde nicht unbedingt besser, als ich gemeinsam mit 10 anderen Schwangeren in einem Keller ohne Sitzgelegenheiten (Schwangere müssen nicht sitzen, das wird überbewertet!) erst mal 20 Minuten auf die Kursleiterin warten musste. Als sie endlich herbeirauschte, nahm die weitere Desillusionierung ihren Lauf. Wir wurden in einen ostblockartigen, miefenden Gymnastikraum gescheucht, in den wir uns alle selber einen schweren Holzsessel tragen durften (Schwangere können ruhig schwer tragen, das wird überbewertet!) und bildeten dort einen Sesselkreis. Reihum stellten wir uns vor und jede erzählte ein wenig vom bisherigen Verlauf ihrer Schwangerschaft. Nachdem ich mit keinen besonderen Wehwehchen oder tollen Geschichten glänzen konnte, beschloss ich, mich auf andere Weise hervorzutun – das Mittel meiner Wahl war natürlich wie immer das nächstbeste Fettnäpfchen. Als die Schwangere neben mir also berichtete, dass es ihr eigentlich recht gut gehe und sie lediglich mit dem Pupp-Syndrom zu kämpfen habe, lachte ich laut los. Von der durchaus unangenehmen Hautkrankheit hatte ich noch nie etwas gehört und stattdessen „Pups-Syndrom“ verstanden – ich dachte einfach, dass sie ihre Schwangerschafts-Blähungen lustig umschrieben hätte...! Als die anderen im Raum alle betretene Gesichter machten, merkte ich zwar schnell, dass ich offensichtlich etwas falsch verstanden hatte und tarnte meinen Lachkrampf als Hustenanfall, aber am liebsten wäre ich in Wahrheit schon in diesem Moment schreiend aus dem Gebäude gelaufen.

In Anbetracht der Tatsache, welche Geschichten danach folgten, wäre das wohl auch die bessere Wahl gewesen – denn weder die 80er-Jahre Schautafeln über den Geburtsvorgang, die Berichte über Einläufe, Dammrisse und Saugglocken, noch das Plastik-Becken, durch das eine Babypuppe gepresst wurde oder die liebevoll aus Wolle gestrickte Plazenta nahmen mir die Angst vor der Geburt, im Gegenteil. Für meinen Geschmack war die leitende Hebamme einfach ein Stück zu ehrlich: Ich hätte mir gewünscht, dass sie uns liebevoll die Hand tätscheln und dabei versichern würde, dass wir das alles locker schaffen würden – stattdessen verkündete sie uns in ihren Glitzerstiefeln und engen Röhrenjeans (na warte, du wirst auch noch mal schwanger und fett!!), dass das schon alles ziemlich schlimm werden würde.

Auch die Besichtigung des Kreißsaals führte bei mir nicht zur Gewissensberuhigung, sondern zu mittelschweren Panikattacken. Während die anderen interessiert alle Geräte beäugten und schlaue Fragen stellten, wippte ich schweißgebadet auf meinem Petzi-Ball und versuchte, irgendwie auszublenden, dass im Kreißsaal nebenan gerade eine Frau schrie, als würde ihr bei lebendigem Leib ein Bein ausgerissen („Ah, die dürfte gerade in den Presswehen sein", klärte uns unsere Kursleiterin wissend auf). Egal wie bunt die Vorhänge, wie schön der Ausblick, wie liebevoll die Einrichtung war: Das nächste Mal, wenn ich diesen schrecklichen Raum von innen sehen würde, wäre ich diejenige, die um ihr Leben schrie – und das beruhigte mich in keinster Weise!

In gewissem Sinne war der Geburtsvorbereitungskurs für mich also komplett sinnlos: Während ich für den Kaiserschnitt in den OP geschoben wurde, brauchte ich weder an Presswehen noch an Dammrisse oder Atemtechniken zu denken, aber irgendwie war er trotzdem nicht komplett umsonst. Allein schon deswegen, weil er mein „Schwanger 2013 – I did it“-Paket auf wunderbar kuriose Art komplettiert hat...

März

Du raubst mir die Nerven
und  stiehlst mir das Herz
Du liegst mir im Magen
und  verzauberst den März

So aussichtslos finster
so himmelblau hell
dein Lachen, meine Tränen
ein Blinzeln, so grell

Es grenzt an ein Wunder, dass ich noch lebe
Es grenzt an ein Wunder, dass du so bist
Meine Grenzen und Wunden und innerste Seele
Du bist das Wunder, das grenzenlos ist