Alle Jahre wieder kommt nicht nur das Christuskind, sondern auch eine der nervlich und organisatorisch herausforderndsten Zeiten im Jahr. Spätestens wenn in den Geschäften die ersten Familienpackungen Lebkuchen auftauchen (also im August), beschleicht mich ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend. Bisher konnte ich dieses erfolgreich bis zum letzten Drücker verdrängen, aber als Mama muss man ja spätestens am 1. Dezember gestiefelt und geschnürt sein, um dem Kind das perfekte Rundum-Weihnachts-Erlebnis zu bieten.
Bestand in der Vergangenheit die Weihnachtsdekoration etwa maximal aus zwei vergammelnden Mandarinen in der Obstschale, ist mit Kind plötzlich das ganze Haus mit Adventkranz, Adventkalender & Co. vollgepackt und die Weihnachts-CD läuft schon Wochen vor dem Fest auf Dauerschleife. Dass das liebe Kind dabei allsonntäglich versucht, sich mit dem Adventkranz in Brand zu setzen und jeden Tag aufs Neue in hysterische Weinkrämpfe ausbricht, wenn es am Adventkalender wieder nur ein Türchen öffnen darf, tut dabei nichts zur Sache – die Weihnachtsstimmung wird generalstabsmäßig hoch gehalten.
Besonders schlimm ist dabei das erste Weihnachten mit Kind. Man malt sich aus, wie man zum ersten Mal selig mit Baby vor dem Christbaum steht, das Kind verzückt von all den Lichtern, man selbst trunken vor Familien-Idylle. Das erste Fest soll das Sahnehäubchen auf dem neuen Familienglück werden und man ist überzeugt, dass Weihnachten mit Kind automatisch besser und schöner wird. Auch wenn man im tiefsten Inneren weiß, dass auch dieses Jahr die CD mit „Stille Nacht“ wieder hängenbleiben wird, dass die Würstel wieder aufplatzen werden und kurz vor der Bescherung noch ein Familienzwist darüber ausbricht, wer diesmal vergessen hat, die Sternspritzer zu besorgen, verdrängt man all das und ist überzeugt, dass diesmal alles wie aus dem Bilderbuch wird.
Erste kleine Risse bekommt die Heile-Welt-Stimmung allerdings bereits, wenn es um die organisatorischen Details des großen Tages geht. Oft führt bereits die simple Frage, wo gefeiert werden soll, zu einer mittelschweren Existenzkrise des erweiterten Verwandtschaftskreises. Bevor Noah geboren wurde, feierten mein Mann und ich immer getrennt voneinander, jeder bei seiner Familie. Mit Kind ging das ja nun schlecht, also: wo feiern?
Man möchte meinen, dass das eine einfache Entscheidung ist, aber glauben Sie mir – das ist es nicht. Kaum hat man ein Kind, wird einem scheinbar automatisch damit die Präsentationspflicht desselbigen zu jedem Feiertag übertragen. Selbst Tante Hildetrud aus Hintertupfing erwartet zu Weihnachten plötzlich, dass sie das holde Kindlein unter dem Christbaum bewundern darf. Im Prinzip hat man also nur drei Möglichkeiten: Man feiert nur bei einer Partei und beleidigt alle anderen damit tödlich, man klappert wie auf einer Welt-Tournee der Stones am Heiligabend halb Österreich ab oder man bleibt zu Hause und feiert allein (die restliche Verwandtschaft auch einzuladen, sprengt meist den Wohnflächen-Rahmen all derer, die nicht im Buckingham Palast wohnen). Variante 3 klang für uns zwar am Verlockendsten, nur leider auch irgendwie am Deprimierendsten. Alleine ohne Familie, war das überhaupt noch Weihnachten? Würden wir nicht mit dem brüllenden Noah bereits um 20.15 Uhr ganz unfeierlich die Treppen auf und ab laufen bzw. wechselweise vor dem Fernseher „Stirb langsam Teil 42“ schauen? Also entschieden wir uns für die Tournee-Variante und bepackten unser Auto am 24. Dezember mit einer LKW-Ladung voller Geschenke.
Die exorbitante Anzahl der Päckchen, die wir in die Familienkutsche quetschten, stand dabei übrigens in keinem Verhältnis zur Anzahl der besuchten Verwandten – sie waren alle für Noah. So wie jeder Verwandte das Kind am Heiligen Abend gern sehen wollte, sollte es dabei schließlich auch sein Geschenk auspacken und am Schönsten und Tollsten von allen finden. Die Telefone liefen deshalb schon ab Mitte November heiß: „Was braucht denn Noah?“, „Was, nur einen Skianzug? Na das is aber schon zu wenig!“. Obwohl ich mich sehr darüber freute, dass alle unser Kind so reich beschenken wollten, wurde das Thema bei mir bald zum roten Tuch. Wieso mussten sich alle gegenseitig übertrumpfen? Konnte ich es verantworten, dass Noah von Tante Hildetrud einen lebengroßen Traktor mit Anhänger bekam, während ihm seine eigenen Eltern nur eine Doppelpackung Langarm-Pyjamas schenkten?! Hätte ich doch schon zu diesem Zeitpunkt gewusst, dass der 100-Euro-Spieletisch ohnehin unbeachtet in der Ecke stehen bleiben würde, während Noah sich juchzend ins Geschenkpapier einwickelte…
Auch sonst hatte Tag X letzten Endes wenig mit der seligen Christbaum-Fantasie zu tun, die ich im Kopf gehabt hatte. Abgesehen davon, dass ich in meinem Kopf-Bild weder Augenringe bis zum Knie gehabt hatte, weil das Kind gerade zahnte, noch vorausgesehen hatte, dass Noah bereits bei der zweiten Strophe von „Stille Nacht“ gleichzeitig versuchen würde, den Christbaum abzukränzen und einen Strang Lametta zu inhalieren, war es auch sonst das ganz normale, chaotische Familienfest, das Weihnachten bei uns nun mal ist. Und nachdem das Kind endlich ins Keks-induzierte Schlafkoma gefallen und alle Geschenkkartons zum Altpapier-Container gebracht waren (weil morgen ist er voll!), machte mich diese Erkenntnis fast ein bisschen glücklich. Mit Kind ändert sich genug, da ist es ganz gut, dass manches immer gleich bleibt. Und Gott sei Dank ist Weihnachten ja nur ein Mal im Jahr...
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