Freitag, 27. März 2020

Die 3 größten Corona-Challenges für Eltern

Bisher dachte ich, das Krasseste, was einem in Sachen Heimquarantäne passieren kann, ist dass beide Kinder hintereinander die Windpocken bekommen. Dann kam Corona. Und plötzlich wünsche ich mir die Windpocken zurück.

Nicht, dass die lustig gewesen wären, aber was hatten wir da rückblickend für einen Luxus! Besuche von der Oma! Rausgehen mit dem jeweils gesunden Kind! Unsere größte Sorge war das schlechte Fernsehprogramm! Hätte mir damals jemand gesagt, was im Frühjahr 2020 auf uns zukommen sollte, ich hätte ihm den Vogel gezeigt.

Und jetzt haben wir alle den Salat beziehungsweise den Virus. Von einen Tag auf den anderen hat sich die ganz normale Welt in einen Zombiefilm verwandelt, für den meine Kinder eigentlich noch viel zu klein sind, um ihn sich anschauen zu dürfen.

Oft genug kommt es mir so vor, als würde gleich jemand „Haha, versteckte Kamera!“ rufen – nur, dass das dann leider doch nie jemand tut und der Film unbeirrt weiterläuft.
It’s the end of the world as we know it – und das für uns alle. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass diese bekackte Katastrophe gerade an Menschen mit Kindern noch ein paar besondere Sahnehäubchen des Wahnsinns austeilt. Damit will ich bei Gott nicht die Probleme all jener schmälern, die sich gerade auch kinderlos vollkommen zurecht beschissen fühlen, ich will nur allen Eltern da draußen sagen: Ich weiß, warum ihr gerade euren Kopf gegen die Wand schlagt.

Vielleicht, weil ihr gerade seit gefühlten Ewigkeiten versucht, neben zwei brüllenden Fressmonstern im Home Office eine (nur EINE!) E-Mail zu beantworten. Vielleicht, weil ihr seit zwei Stunden aus Klopapierrollen eine Ritterburg baut. Vielleicht auch nur, weil ihr gerade bemerkt habt, dass ihr beim letzten Hamsterkauf zwei Flaschen Wein zu wenig mitgenommen habt … Ganz egal, warum: Ich verstehe euch. Denn die folgenden drei speziellen Corona-Challenges für Eltern bleiben gerade kaum jemand von uns erspart.


Corona-Challenge für Eltern #1: Du musst funktionieren – auch wenn gerade sonst nichts funktioniert

Keine Schule, kein Kindergarten, keine Betreuungsmöglichkeiten – was Corona uns da gerade beschert, trifft besonders alle extra hart, bei denen beide Elternteile berufstätig sind. Ohne Kindergartentanten, Tagesmütter und Großeltern klappt nämlich das mühsam aufgebaute Kartenhaus ganz schnell in sich zusammen.

So sitzt man plötzlich in den umgepusteten Ruinen da und fährt die größte One-Man/Woman-Show seines Lebens. Denn dass Kindergartentante, Lehrerin, Köchin, Putzfrau und Entertainerin in einem schlecht funktioniert, ist klar. Dass ihr das Ganze aber nicht nur „neben“, sondern gleichzeitig mit eurem normalen Job machen sollt, nahezu unmöglich.

Meine größte Bewunderung gilt allen, die momentan da draußen als ÄrztInnen, KassiererInnen oder PflegerInnen unser System am Laufen halten – daneben komme ich mir beinahe schlecht vor, mich über die Arbeit im Home Office zu beschweren. Aber wer jemals versucht hat, neben zwei Kleinkindern auch nur zehn Minuten produktiv am Computer zu arbeiten, weiß, wovon ich rede.

„Maaama! Mama, schau! Mama, ich hab Hunger! Mama, mir is fad! Mama, was machst du da? Mama, was passiert, wenn ich auf den Knopf da drücke? Mama, schau wie schön ich die Wand angemalt hab! Maaaaama, Maama, MAMA!!!“

Und du willst deine Kinder wirklich nicht anschreien, aber du würdest auch wirklich gern deinen Job behalten! Und auch wenn deine Chefin sehr verständnisvoll ist, wenn sich während des Video-Chats dein Kleiner im Hintergrund wie Tarzan am Vorhang durchs Zimmer schwingt, irgendwann reißt dir der Geduldsfaden und du phantasiert davon, wie du die lieben Kleinen mit extrastarkem Paketband an die Kinderzimmerwand pickst. Gleichzeitig tun sie dir auch schon wieder leid, weil sie natürlich nicht verstehen können, warum Mama nicht „da“ ist, obwohl sie doch da ist – und du fragst dich nur noch, ob man dir heute den Pokal für die schlechteste Mitarbeiterin oder doch lieber den für die schlechteste Mama verleihen sollte.

Zu Mittag geht’s statt bequem in die Kantine gestresst in die Küche, wo in der Arbeitspause schnell, schnell ein nahrhaftes Menü zubereitet werden will, das sowohl den Kindern als auch dem Mann mundet. Nicht zum ersten Mal stellst du dabei fest, dass ihr plötzlich das gefühlt Hundertfache an Essen verbraucht wie sonst und du dich beim letzten Notfalleinkauf um ca. 67 Paar Frankfurter und 8 Flaschen Ketchup verschätzt habt. Und danach zurück zur Arbeit – nein, halt! Noch schnell Geschirrspüler einräumen, Waschmaschine starten, den Kindern einen Bastelblock zuwerfen und Hände waschen, Hände waschen, Hände waschen …


Corona-Challenge für Eltern #2: Du musst entertainen – auf einem völlig neuen Level

Durch Corona weiß ich jetzt, wie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ als Horrorfilm ausgesehen hätte. „Mama, was machen wir heute?“ – „Nix!! So wie gestern und morgen und jeden verdammten Tag ab jetzt!!“ Nein, das sagst du natürlich nicht! Stattdessen sagst du Dinge, von denen du nie geträumt hättest, dass sie einmal deinen Mund verlassen würden. „Lass uns doch heute selber Knete machen!“ oder „Sollen wir aus Nudeln eine Feuerwehrstation basteln?“

Dank Corona bin ich gefangen in der Bastelhölle. Und alle, die mich kennen, wissen, was das für mich heißt. Doch was bleibt mir anderes übrig? Ich kann die Jungs schlecht 12 Stunden am Tag vor dem Fernseher parken und ich verstehe sie ja – ich dreh ja selbst am Rad! Mit drei und sechs Jahren will man sich keinen Baum durchs Fenster anschauen – man will schreiend drum herumlaufen, raufklettern, etwas aus seinen Ästen schnitzen …

Und ja, man „darf“ zwar noch spazieren gehen, aber nicht zu lang und nicht zu weit und überhaupt am allerliebsten allein. Traut man sich dann mal tatsächlich mit den Kindern hinaus zum nächsten Baum, fühlt man sich wie eine Widerstandskämpferin, die jeden Moment von der Polizei abgeführt werden könnte. Ganz nebenbei macht das viele Bogen-um-Leute-Laufen und „Nein, Schatzi, dableiben, nicht zu den Kindern hinlaufen!“-Brüllen müde und paranoid. Nach zehn Minuten auslüften scheuchst du die weinenden Kinder, die nicht verstehen, warum sie heute nicht auf den Spielplatz dürfen, also wieder nach Hause. Und bist dort wieder bis auf Weiteres „gefangen“.

Ja, gefangen mit Essen und Spielsachen und Bastelpapier – aber dennoch gefangen. Ich versuche mir einzureden, dass man sich an alles gewöhnt. Ich denke an lebenslänglich Inhaftierte. Und an Menschen ohne Fernseher. Und trotzdem bin ich deprimiert. Und wenn ich noch EIN Mal irgendwo lese, ich soll doch bitte genießen, dass ich endlich mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen kann …! Habt ihr eigentlich einen Dachschaden? Glaubt ihr, wir tanzen jetzt singend Hand in Hand als Familie um den Küchentisch, weil wir uns so darüber freuen, dass wir nicht mehr rausdürfen?!

Ich versuche mit allen Mitteln, meinen Kindern diese beschissene Zeit so schön wie möglich zu machen, aber das ist verdammt noch mal kein Partyspaß. Ich spiele 365 Runden Uno am Tag, ich bastle, ich male, ich baue Duploburgen und Polsterhöhlen – und dann ist es immer noch erst 10:00 Uhr vormittag!

Anfangs habe ich versucht, die Kinder ganz gefinkelt für Haushaltsaufgaben zu begeistern. „Kommt, jetzt räumen wir alle gemeinsam den Geschirrspüler aus!“ Die Kinder starrten mich daraufhin an, als hätte ich gerade vorgeschlagen, dass wir uns alle einen Finger abhacken. Also basteln wir. Und essen. Und basteln. Und essen. Wer hätte gedacht, dass ich mal vor dem Dilemma stehen würde, ob ich die Erdäpfel lieber hamstern oder für den Kartoffeldruck verwenden soll??


Corona-Challenge für Eltern #3: Du musst erwachsen sein – auch wenn du gerade selbst am liebsten heulend zu deiner Mama laufen würdest

Die wohl größte Herausforderung in dieser furchteinflößenden Zeit ist, dass du für dein Kind der Fels in der Brandung sein musst. Auch wenn dich dein Kleiner zum hundertsten Mal fragt, wann der blöde Coronavirus endlich wieder weg ist, musst du ihm glaubhaft versichern, dass alles wieder gut wird und zwar ganz bald.

Statt nach den Nachrichten in den Keller heulen zu gehen, holst du von dort nur eine neue Packung Play-Doh. Voller Überzeugung sagst du Sätze wie „Aber sicher können wir Oma und Opa ganz bald wieder besuchen!“ oder „Deinen Geburtstag feiern wir dafür doppelt so groß nach!“, während dir innerlich das Herz bricht.

Was antwortet man, wenn einen ein Sechsjähriger fragt, ob Corona weggeht, wenn er sich dafür gar nichts anderes vom Christkind wünscht? Wie reagiert man, wenn ein Dreijähriger wissen möchte, wie man betet, weil er dem lieben Gott gern sagen möchte, dass er Corona bitte wieder wegmachen soll? Ich stoße als Mama gerade jeden Tag so an meine Grenzen, wie ich es vorher nie für möglich gehalten hätte.

Einerseits bin ich unendlich froh, dass ich in dieser schrecklichen Situation wenigstens kleine Kinder habe, die mich mit ihrem Blödsinn ablenken und mich mit ihren verrückten Ideen trotz allem zum Lachen bringen. Auf der anderen Seite mache ich mir wegen den Kindern noch viel mehr Sorgen als sowieso schon. Was macht das mit meinen Jungs, wenn sie Wochen oder Monate lang zu Hause „gefangen“ sind, ohne ihre Freunde, ohne Spielplatz, ohne Oma und Opa und Kindergarten?

Wie wird es sie verändern, wenn sie trotz aller Bemühungen mit ihren feinen Antennen die Ängste und Sorgen von Mama und Papa jeden Tag ungefiltert mitbekommen? Vielleicht mache ich mir auch zu viele Gedanken und das Traumatischste, was die beiden aus dieser Zeit mitnehmen werden, ist, dass ich ihnen selbst die Stirnfransen schneiden musste – ich weiß es nicht.

Man sagt, ein Trauerprozess verläuft in fünf Stufen: Leugnen, Zorn, Verhandeln, Depression und Akzeptanz. Bis auf Akzeptanz hab ich jetzt dann alles durch – die Dinge können also nur noch besser werden. Und ich habe das starke Gefühl, dass ich mir noch ein paar Tränen aufsparen sollte.

Die brauch ich nämlich dann, wenn meine Jungs das erste Mal wieder johlend in den Kindergarten laufen. Wenn ich meine Mama wieder umarmen kann. Wenn ich das erste Mal das Meer wiedersehe. Und wenn für uns alle die Freiheit wieder nur einen Schritt von der Haustür entfernt ist.

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