Sonntag, 9. Juli 2017

Schlaf, Kindlein, schlaf... (BITTE!)

Der absolut größte Irrtum, dem ich beim Thema Nachwuchs erlegen bin, ist die Mär, dass Kinder, wenn sie müde sind, einfach die Augen zumachen und schlafen. Im Hinterkopf hatte ich Bilder von Kleinkindern, die bei Düsenjet-Lärm im Buggy schliefen, während die Eltern im Urlaub um Mitternacht noch in der Taverne saßen und erinnerte mich an Babys, die auf dem Arm ihrer Mama in den unmöglichsten Positionen, in den unmöglichsten Situationen selig vor sich hinschlummerten.

Tatsächlich sah die Realität zumindest bei uns komplett anders aus. Denjenigen, der das Sprichwort „Schlafen wie ein Baby“ erfunden hat, hätte ich liebend gern mal zu einem fröhlichen 24-Stunden-Aufenthalt bei der Familie Holzer eingeladen. Kurz gesagt war das Thema Schlaf bei uns das gesamte erste Jahr lang bestimmt jener Grund, dem die häufigsten Tränenattacken, Nervenzusammenbrüche und Verzweiflungsheuler geschuldet waren. An manchen Tagen hätte ich sicher mehr Chancen gehabt, eine Scheibe Toastbrot zum Schlafen zu bringen als mein Kind – und diese absolute Machtlosigkeit ließ mich so verzweifeln wie noch selten etwas in meinem Leben.

Vorausschicken sollte ich vielleicht noch, dass das Thema Schlaf bei mir von jeher meine Achillesferse ist. Schlafen ist mein liebstes Hobby und wenn ich früher nicht meine mindestens 8 Stunden ungestörten Schlummers bekam, war ich am nächsten Tag einfach unausstehlich. Eine meiner größten Ängste während der Schwangerschaft war also, dass ausgerechnet ich einen „schlechten Schläfer“ bekommen würde. Und wie es im Leben leider so oft spielt, trat genau diese Self-fulfilling Prophecy ein.

Die ersten Tage zu Hause lief noch alles relativ rund. Sicher, Noah wachte nachts alle drei Stunden auf und verlangte nach seinem Fläschchen und ja, ich beschwerte mich auch damals schon, dass das alles für einen Vielschläfer wie mich extrem schrecklich ist, aber rückblickend war es damals noch der Babyhimmel auf Erden. Tagsüber schlief Noah oft mehr als drei Stunden, in denen ich inzwischen locker den Haushalt wuppen oder mich selbst ein bisschen aufs Ohr hauen konnte. Nachts wechselten mein Mann und ich uns mit dem Fläschchen ab und kamen so jeweils auf mehrere Stunden mehr oder weniger ungestörten Schlafes am Stück.

Nach etwa drei Wochen wendete sich das Blatt allerdings drastisch. Plötzlich wollte der kleine Mann nichts weniger als zu schlafen, egal ob in seinem Beistellbettchen, im Elternbett oder bei Mama auf dem Arm. Schon allein das Hinlegen dauerte oft länger als eine Stunde. Da half keine Gute-Nacht-Geschichte, kein Herumtragen und kein Fläschchen – Noah wollte trotz stundenlangem Wachsein abends nicht schlafen gehen. Mein Mann und ich wechselten uns jeden Tag bei dem Theater ab und mehr als ein Mal fand der glückliche Niederleg-Befreite nach etwa einer halben Stunde den völlig fertigen Niederleger neben dem Kind schnarchend im Bett liegen, während Noah noch immer hellwach vor sich hin quäkte.

Wenn der kleine Terrorist doch endlich aufgegeben hatte und eingeschlafen war, galt es wahre Kunststücke aufzuführen, um das Zimmer zu verlassen, ohne den schlafenden Prinz zu wecken. Auch hier hatte ich eigentlich mal geglaubt, dass man neben einem schlafenden Kind eine Bombe zünden könnte, ohne es aufzuwecken, aber bei Noah reichte das Knarzen der dritten Stufe, das Knacksen des Kniegelenks oder das Schlurfen der Hausschuhe – das minimalste Geräusch – und die Sirene ging schon wieder an. Wäääääh, rabääääh – und das ganze Theater von vorne… Bevor ich schwanger wurde, hatte ich jene Eltern noch belächelt, die nach 18.00 Uhr die Klospülung nicht mehr betätigten, aber nachdem ich mich selbst dabei ertappte, dass ich die Stiegen nur noch im breitbeinigen Cowboygang herunterschlich, um das Aneinanderreiben meiner Hosenbeine zu verhindern, musste ich einsehen, dass ich um keinen Deut besser war.

Eigentlich wäre es vernünftiger gewesen, ich hätte mich direkt mit Noah nach den 18.00 Uhr Nachrichten schlafen gelegt, dann wäre ich vielleicht wenigstens zu ein paar Minuten mehr Schlaf gekommen. Denn nur weil Noah endlich schlief, hieß das ja noch lange nicht, dass er das auch lange tun würde. Hatte er anfangs bis zu 3 oder 4 Stunden am Stück geschafft, verkürzten sich die Intervalle plötzlich von Nacht zu Nacht. Erst wachte er alle 2 Stunden auf, dann alle 1 ½, schließlich waren wir bei stündlichem, dann bei halbstündlichem Aufwachen.

Den schrecklichen Höhepunkt fand Noahs Schlafverweigerung in der Phase, in der er wie ein Uhrwerk alle 10-20 Minuten aufwachte, die gesamte Nacht, ohne Ausnahme. Die Minuten dazwischen warf er sich oft im Schlaf noch in seinem kleinen Bettchen herum, streckte die Beinchen in die Luft und ließ sie mit einem Karacho auf seine Matratze fallen, dass bei uns das Elternbett wackelte.

Ich weiß bis heute nicht, wie ich diese Phase überlebt habe, ich kann nur sagen: Schlafentzug ist eine der schlimmsten Foltermethoden, die es geben muss. Nach nur wenigen Tagen war ich zum Heulgemüse mutiert. Nachts schien ich in den wenigen ruhigen Minuten kaum mehr in eine tiefe Schlafphase zu kommen, ich döste nur noch im Delirium vor mich hin, bis mich 10 Minuten später das nächste Krähen kerzengerade im Bett hochfahren ließ. Tagsüber war ich kalkweiß, ich konnte mich kaum von einem Stockwerk in das nächste schleppen und fing wegen jeder Kleinigkeit an zu heulen. Der schiere Kraftakt, einen heruntergefallenen Löffel wieder aufzuheben, erschien mir an vielen Tagen einfach wie eine unüberwindbare Lebensaufgabe. Unvergessen bleibt mir auch der Tag, an dem mir in der C&A Babyabteilung kurz schwarz vor Augen wurde, als ich zu einem besonders süßen Pulli im Regal hochschaute.

Das Schlimmste war, dass Noah gleichzeitig mit seinem Nachtschlaf auch seinen Tagschlaf umstellte. Die Zeiten, in denen ich mich vorher also tagsüber mal auf die Couch legen konnte, gehörten plötzlich auch der Vergangenheit an: Noah schlief ausschließlich nur noch, wenn ich seinen Kinderwagen schob oder Auto fuhr. Während ich also nichts auf der ganzen Welt lieber getan hätte, als mich einfach nur 2 Minuten lang von mir aus auf dem kalten Kellerboden zum Schafen hinzulegen, stapfte ich bei Wind und Wetter jeden Tag 2-4 Stunden mit dem Kinderwagen durch die Gegend, damit wenigstens Noah zu etwas Schlaf kam. Bekam der Zwerg nämlich nach den anstrengenden Nächten nicht wenigstens tagsüber ein wenig Schlaf, brüllte er die Wachzeiten unaufhörlich durch – und das halte mal jemand aus, wenn er seit Wochen insgesamt nur noch auf etwa 2 Stunden Schlaf pro Nacht kommt! Oft dachte ich mir, dass ich beim Spaziergehen einfach irgendwo im Wald ohnmächtig neben dem Kinderwagen zusammenbrechen würde und mich Wanderer drei Tage später komatös schlafend neben meinem brüllenden Kind im Rindenmulch finden würden, aber wieder mal war es erstaunlich, wie viel der menschliche Körper aushält...

Natürlich versuchten wir alles, um die Situation irgendwie zu ändern und Noahs Schlafverhalten zu verbessern. Während andere Eltern uns also überglücklich erzählten, dass ihre kleinen Mäuse schon seit Wochen durchschliefen, wälzten wir Internetforen, Fachbücher und Ratgeber. Wir holten uns Tipps von Eltern, Freunden und Ärzten, wir probierten alles aus, und ich meine wirklich ALLES, um den kleinen Wurm zum Schlafen zu bringen. Einschlafritual, weißes Rauschen, Gebärmutter-Sounds, nach Mama duftendes T-Shirt, Pucksack, Globuli, Bettenwechsel, Zimmerwechsel, Schnullertausch, Osteopathie, Cranio Sacral, Babymassage… ich glaube ehrlich, dass es nichts gibt, was wir nicht versucht hätten. Und doch änderte sich genau gar nichts, außer vielleicht, dass wir beide wegen des lauten weißen Rauschens auch die wenigen Minuten, in denen Noah schlief, nicht mehr schlafen konnten. Meine Verzweiflung wuchs ins Unermessliche und ich wollte nur noch eines: mich allein in einem Zimmer einsperren und fünf Tage durchschlafen.

Die härteste Phase zog sich vielleicht über 8-10 Wochen, in denen ich mindestens um 8 bis 10 Jahre alterte. Danach schlief Noah von einen Tag auf den andere plötzlich durch, als hätte er noch nie in seinem Leben etwas anderes getan. Völlig euphorisch köpften wir an diesem Tag eine Flasche Sekt und beglückwünschten uns tränenreich zu unserem neuen Lebensglück. Den Rest der Flasche tranken wir dann übrigens am nächsten Tag. Zur Frustbewältigung, weil das schöne Durchschlaf-Märchen wie so vieles andere natürlich wieder mal nur eine Phase gewesen war…

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