Sonntag, 9. Juli 2017

Wahnsinn im Doppelpack

„Eins ist keins und zwei sind drei“ – diese Weisheit grummelte mir während der Schwangerschaft mit meinem zweiten Kind immer wieder unangenehm in der Magengegend herum.

Sicher, zwei Kinder, das würde schon anstrengend werden, aber andererseits – jetzt wüsste ich doch schon, wie der Hase läuft? So unbeholfen und restlos platt wie beim ersten Mal konnte ich doch gar nicht mehr sein?

Wie gern würde ich behaupten, ich hätte das Ding diesmal mit links aus dem Ärmel geschüttelt – aber auch beim zweiten Mal hat mich die Naturgewalt Kind wieder komplett überrollt, vermutlich weil ich beim Zebrastreifen einfach in die falsche Richtung geschaut habe. Erwartet habe ich nämlich, dass von rechts beim zweiten Mal alles gleich kommt wie beim ersten Mal, nur eben doppelt – nur kam dann von links wieder alles komplett neu und anders. Mit zwei Kindern habe ich jetzt endgültig keinen Plan mehr, wie man das kompetente Supermom-Dings hinbekommt – die hilfreichen Tipps müsst ihr euch also woanders holen. Ich kann nur versuchen, ansatzweise zu erklären, was in meinem Herz und Hirn mit zwei Kindern anders ist als mit einem.
 
Die Schwangerschaft

Während man beim ersten Kind ja nur theoretisch weiß, was auf einen zukommt, weiß man das bei der zweiten Schwangerschaft ja leider ganz genau. Vieles vergisst/verdrängt man zwar, aber sich vollkommen rational nochmal für den ganzen Wahnsinn zu entscheiden, ist eigentlich schon ein wenig masochistisch. Ja, gib mir nochmal den Geburtsschmerz, die durchwachten Nächte, ich kann nicht genug bekommen von angekackten Windeln! Das zweite Kind ist deswegen wohl noch viel mehr eine Herzensentscheidung als das erste. Man weiß das alles – und tut’s trotzdem. Zwar aus voller Überzeugung, aber spätestens bei den ersten Schwangerschafts-Wehwechen denkt man schon bei sich „Ach, stimmt… so war das ja, hmmm…!“

Die zweite Schwangerschaft ist noch dazu meist ein ganz anderes Kaliber als die erste. Nicht nur, dass ich diesmal schon nach 4 Wochen den ersten Knopf von der Hose sprengte, nein, jetzt war da ja auch noch ein 2-Jähriger, der in den Zeiten, in denen ich mich in der ersten Schwangerschaft zum Ausruhen auf die Couch gelegt hatte, lieber Radfahren, Fangenspie-len oder sich von einem Sessel stürzen wollte. Während ich bei Noahs Schwangerschaft also erst relativ spät den Wunsch verspürte, dass das alles jetzt dann auch mal wieder vorbei sein dürfte, ertappte ich mich bei Nico schon während der ersten Monate bei dem Gedanken: „Oida, I mog jetzt scho nimma…“. Dabei half auch nicht gerade, dass ich in der zweiten Schwangerschaft gefühlt das 17-Fache zunahm und wie ein gestrandeter Blauwal hinter meinem 2-Jährigen herschnaufte. Diese Zusatzkilos sind übrigens auch nach der zweiten Schwangerschaft viel schwerer wieder loszukriegen als nach der ersten – schöner macht einen das zweite Kind also definitiv nicht. Ich kann hier nur meinen mittlerweile 3-jährigen Sohn zitieren: „Mama! Du hast ja zwei verschiedene Busen! Einer ist länger als der andere!“

Die Experten-Illusion

Kaum ist das zweite Baby da, denkt man: Been there, done that! Gekonnt schunkelst du das Kleine im Wippschritt durch das Zimmer, zupfst dabei mit links eine Windel aus der Packung und wärmst mit rechts das Fläschchen. Easy – schließlich hast du das alles schon mal ge-macht! Aus dieser Erfahrung ziehst du auch deine Experten-Tipps: Ah, das Baby schreit, dann packen wir’s mal in den Kinderwagen, da hat Noah auch immer gleich zu weinen auf-gehört. Oh, jetzt ist es müde, dann ab ins Auto, hat ja bei Noah auch geklappt wie am Schnürchen! Nur leider: Wie bei einem großen kosmischen Streich ist beim zweiten Kind (zumindest bei uns) alles anders.

Stutzig wurde ich ja schon, als Nico nach der Geburt nicht sofort wie sein Bruder damals den Schnuller quasi inhalierte. Hä, wieso spuckt der den jetzt bitte aus?! Und genauso ging es mir mit meinen anderen todsicheren Tricks: Nico hasste sowohl den Kinderwagen als auch das Autofahren und fand sowieso und grundsätzlich alles doof, was Noah in seinem Alter toll gefunden hatte. Eigentlich war es fast ein Running Gag – was, den Brei hat Noah damals geliebt? Na dann brauch ich ihn Nico gar nicht erst zu geben!

Einerseits wird einem so natürlich bewusst, was für einen tollen, eigenständigen Charakter auch das zweite Kind hat – aber als Mama wird man so erst mal wieder zurück zum Start geschickt. Man ist wieder genauso ratlos wie zuvor und muss sich für das zweite Kind völlig neue Strategien suchen. Plötzlich war ich also keine Kinderwagen-Mama mehr, sondern ver-ließ das Haus nicht mehr ohne Tragetuch. Das Fläschchennahrungs-Regal musste ich auch von Neuem von A-Z durchprobieren, bis ich endlich die Marke fand, die Sohn 2 noch das erträglichste Verhältnis von Blähungen zu Verstopfung bescherte. Ganz sicher gibt es Kin-der, die sich total ähnlich sind – meine sind auf jeden Fall wie Tag und Nacht. Einig sind sie sich noch in äußerst wenigen Ansichten – höchstens in der, dass Mama jetzt sicher nicht mal 5 Minuten mit einer Tasse Kaffee auf der Couch sitzen soll.

Die "Zwei sind drei"-Kiste

Ich fürchte fast, der doofe Spruch hat recht. Zumindest fühlt es sich für mich an manchen Tagen definitiv so an, als hätte ich mehr als zwei Kinder. Evolutionär gesehen hat die zweite Schwangerschaft nämlich ein riesengroßes Manko: Man bekommt zwar mehr Körperfett, nicht aber mehr Arme mitgeliefert. Und die könnte man mit zwei Kindern unter 3 Jahren weiß Gott gebrauchen! Bereits die ersten Stunden des Tages fühlen sich mit zwei Kindern eher an wie Schokolade-Schneiden auf einem Kindergeburtstag. Kaum habe ich mir einen Klecks Zahnpasta auf die Bürste gedrückt oder zum ersten Schluck meines Frühstückskaffees an-gesetzt, fliegt entweder einer der beiden gegen eine spitze Kante, kackt in die Windel, schiebt sich einen Legostein in die Nase oder schreit einfach so. Kaum hat man Zahnbürste und Kaffee fallen gelassen, um zu Kind 1 zu eilen, fängt unweigerlich auch Kind 2 zu brüllen an. Hat man endlich beide versorgt, ist nicht nur der Kaffee kalt, sondern wahrscheinlich ohnehin gar keine Zeit mehr, ihn zu trinken, weil man schon ungeduscht und mit dem fleckigen Gewand von gestern zum Kinderarzt-Termin eilen muss.

Generell ist Zeit ein Gut, das man mit neuen Augen sieht. Plötzlich denkt man sich: „Verdammt, wie viel Zeit hatte ich eigentlich mit nur einem Kind!“ Früher hat sich das natürlich nicht so angefühlt, aber mit zwei wird einem bewusst: Man war quasi noch im Kinder-Zeitparadies. Und damit meine ich nicht nur Zeit für sich selbst (haha), sondern vor allem auch Zeit für das Baby. Hatte man bei Kind Nr.1 etwa noch schlicht und einfach die Zeit, ihm in Ruhe das Fläschchen zu geben, ihm die Windel zu wechseln oder es in den Schlaf zu wiegen, wird das mit Kind 2 im Schlepptau oft zum Spießrutenlauf. Kind 1 findet es nämlich total doof, wenn Kind 2 plötzlich alle Aufmerksamkeit der Mama angedeiht und sei das auch nur für 5 Minuten. Beim Flaschi geben versucht Noah unweigerlich, Nico gleichzeitig ein Spielzeug in den Mund zu schieben oder kommt auf die Idee, GENAU jetzt in die Windel kacken zu müssen, beim Wickeln hängt er meist wie ein gröhlender Koalabär auf meinem Rü-cken. Und vom Kind 2 in den Schlaf wiegen will ich gar nicht sprechen. Ich habe ja mal gehört, dass Zweitgeborene selbst bei Düsenjet-Lärm einschlafen können – tja, demnach hätte Nico definitiv ein Erstgeborener werden müssen. Und versuch doch mal, ein lärmempfindliches Kind zum Mittagsschlaf zu bringen, wenn daneben ein 3-Jähriger Christl Stürmer-Lieder singt (echt jetzt) oder seine Bob der Baumeister-Werkbank behämmert. Ich kann Noah noch so oft auf Knien anflehen, dass er bitte nur für 2 Minuten EIN BISSCHEN leiser sein soll – just in dem Moment, in dem Nico endlich die Augen zufallen, ertönt unweigerlich ein lautstarkes „Maaaaaamaaaa!“ – und der ganze Tanz geht von vorne los. Über den Schlaf in der Nacht will ich da gar nicht erst reden. Sagen wir nur so: Die erste Nacht, in der plötzlich nicht mehr nur ein, sondern zwei Kinder brüllten und sich gegenseitig aufweckten, werde ich so schnell nicht vergessen…!

Die Explosion der Umständlichkeit

Besonders am Anfang ist mit zwei Kindern alles plötzlich exponentiell kompliziert. Will man mit beiden das Haus verlassen, ist man bepackt wie für eine 3-monatige Mount Everest-Expedition. Mit beiden Kindern kurz mit dem Auto zum Park fahren? Kein Problem, da muss ich nur noch Tragetuch, Regenschutz, Fläschchen, Windeln, Jause, Laufrad, Radhelm, Wechselgewand, Sandspielzeug, Milchpulver, Feuchttücher, Gatschhose, Ersatzschnuller und Spuckwindeln einpacken! Und dann nur noch alles im nächsten Geschäft nachkaufen, das ich garantiert vergessen habe… In den ersten Monaten brauchte ich ohne Witz teilweise mehr als eine Stunde, um beide Jungs und mich ausgehfertig zu bekommen, was teilweise auch daran lag, dass im Winter einfach alles noch 1000 Mal umständlicher ist. In dem Zeitraum, in dem ich die zwei achtarmigen Kraken und mich in fünf Schichten Wintergewand gestopft hatte, fing mindestens einer davon zu heulen an (manchmal auch ich) und ein anderer kackte sich in die Hose (Gott sei Dank nicht ich).

Mal „kurz“ raus zum Spielplatz wird also zur Tagesmission, die unweigerlich schon vor Start in Tränen endet. Und obwohl mal wirklich alles tut, um das Ganze für alle Beteiligten so kurz und schmerzlos wie möglich über die Bühne zu bringen, bekommt man in so Situationen ein unheimliches Versagensgefühl. Klar heult der eine, weil er schon seit einer Stunde drauf wartet, dass er endlich raus darf, klar weint der andere, weil er die Windel voll hat – und als Mama steht man immer zwischen den Stühlen. Es zerreißt einem oft das Herz, weil man immer nur gleichzeitig für einen da sein kann und meint, den anderen unweigerlich im Stich zu lassen. Generell muss man gerade am Anfang die Dinge, die beiden gleichzeitig Spaß machen, mit der Lupe suchen.

Die unweigerliche Konsequenz: Man schmeißt noch mehr Prinzipien über Bord, als man es mit nur einem Kind schon getan hat. Kind 1 möchte heute den ganzen Tag mit der Unterhose am Kopf herumrennen, während Kind 2 den Mund voller Morgenzeitungs-Papierfutzel hat und man selber seit drei Tagen im selben T-Shirt mit Babykotzefleck herumrennt? Früher hätte ich mir das in meinem Mama-Perfektionismus nicht erlaubt. Heute denke ich mir zu-mindest bei den meisten Dingen: Pfeif drauf, wenn sie’s glücklich macht. Erfolg bedeutet für mich heute an manchen Tagen schon, wenn um 12.00 Uhr mittags zumindest zwei von uns drei nicht mehr den Pyjama anhaben.

Zwei Kinder zu haben ist extrem. Extrem anstrengend, extrem kräftezehrend, extrem mühsam. Aber: Es ist auch irgendwie extrem schön. Denn genauso schnell wie die Situationen zur kompletten Katastrophe eskalieren, weil der eine dem anderen beim Spielen auf den Kopf fällt, beide gleichzeitig um 04.00 Uhr früh draufkommen, dass sie jetzt gern die Mama nur für sich hätten oder der Kleine dem Großen die Duplo-Burg zerstört – genauso schnell geht plötzlich der umgekehrte Weg. Wenn man sieht, wie die beiden plötzlich beim Spazierengehen Händchen halten, oder der Kleine den Großen anstrahlt, als wäre er ein Superheld, dann fühlt sich das gut an. Obwohl gerade am Anfang jeder Tag eine Katastrophe war, hat sich doch jeder davon irrationalerweise richtig angefühlt. Vorher war da ein Kind, auf das sich immer alles konzentriert hat. Jetzt ist da auf einmal noch jemand und aus diesem spitzen Dreieck ist plötzlich etwas Rundes geworden. Oder sagen wir zumindest etwas verbeultes, verrücktes, annähernd Eiförmiges.

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