Montag, 15. Juni 2015

Das muss ich alles haben!

Kurz nachdem Noah auf die Welt kam, saß ich mit folgenden Dingen zu Hause: einem Babyskianzug, drei verschiedenen Babytragen und einer sündteuren elektrischen Milchpumpe. Klingt so weit vielleicht noch ganz vernünftig. Nur dass es draußen milde 20°C hatte, ich Noah aufgrund meiner Kaiserschnittnarbe gar nicht tragen konnte und ich auch nicht stillte. Man sagt uns Frauen ja generell einen Hang zur Konsumsucht nach, aber diese Ansammlung sinnloser Gegenstände war sogar für mich ein neuer Rekord. Sicher, ich hatte weder den Kaiserschnitt voraussehen können, noch hatte ich geahnt, dass das bei mir mit dem Stillen nicht klappen würde, aber wie hatte ich während der Schwangerschaft nur so unendlich viel sinnlosen Baby-Müll um mich auftürmen können, den ich im Endeffekt kein einziges Mal brauchen sollte?

Nach reiflicher Analyse meines geschrumpften Kontos glaube ich, für diese Misere zwei Hauptgründe herausgefiltert zu haben. Klar, viele Käufe waren einfach notwendig, weil man ein Baby erwartete, andere waren einfach notwendig, weil man an dem Regal mit zuckersüßen Koalabär-Jäckchen mit Flauschi-Ohren unmöglich vorbeigehen konnte. Aber die meisten sinnlosen Käufe gingen damals auf das Konto der zwei Todfeinde einer jeden Schwangeren: Kontrolle und Erpressung.

Ich gebe es zu: Ich bin gern vorbereitet. Ich mag es, Dinge im Voraus zu wissen, und mich darauf einstellen zu können. Kurz gesagt: Ich habe gern die Kontrolle über mein Leben. Leider lässt sich dieser Wunsch nach Kontrolle ganz schlecht mit dem Wunsch nach einem Baby vereinbaren, aber das wusste ich damals mit meinem naiven Kugelbauch-Blick ja noch nicht. Vielmehr dachte ich: Wenn ich auf alle Eventualitäten vorbereitet bin, kann mir auch nichts passieren und ich habe ALLES UNTER KONTROLLE. Deshalb kaufte ich Sommer-Bodies, Winterhosen, Planschbecken und Fellsack, ich shoppte Babyklamotten in jeglicher Größe vom Frühchen bis zum Mutantenkind, im Prinzip deckte ich mich mit sämtlichen Utensilien ein, die mir im Babygeschäft unter die Finger kamen, auch wenn ich bei der Hälfte davon noch nicht mal so genau wusste, was man damit eigentlich macht. Aber wenn die 400. Baby-Shopping-Liste im Internet sagte, ich bräuchte „Spieler“, „Vaporisator“ und „Moltonunterlage“, dann würden sie damit wohl bitteschön auch recht haben!

Einen ersten Dämpfer versetzte mir in meinem Kaufrausch gleich mal meine Mutter, als ich ihr stolz meine ersten Besorgungen präsentierte. Mit geschultem Babykrankenschwester-Blick sortierte sie 90% davon mit den Worten „Zu klein!“, „Zu eng!“, „Zu synthetisch!“, „Zu wenig warm!“, „Zu unpraktisch!“ oder sonst irgendwelchen „Zus“ aus. Stattdessen packte sie mich ins Auto, fuhr mit mir zum nächsten Maximarkt und kaufte dort die gesamte Batterie an Stramplern, Jäckchen und Mützchen leer.

Was meine Mutter jedoch mit sinnvollen Dingen (ja, ich geb’s zähneknirschend zu, dass ihre Sachen praktischer waren als meine Koala-Flauschi-Ohren) mühsam aufzubauen versuchte, wurde von den eifrigen Verkäuferinnen sämtlicher Salzburger Babygeschäfte sogleich wieder zunichte gemacht, womit wir auf Punkt 2 zurückkommen: Erpressung. Ich kann nur jeder Schwangeren empfehlen, sich vorher genau zu informieren, was sie wirklich haben will. Geht man nämlich so ahnungslos wie ich ins Rennen, hat man bereits verloren. Wer nichts weiß, muss ja bekanntlich alles glauben – und das machen sich die Fachverkäuferinnen von heute mit ihrer perfiden Strategie der unterschwelligen Drohung gnadenlos zunutze. Es ist ja nicht so, dass sie einem befehlen würden, das jeweils teuerste Stück im Laden zu kaufen, nein, sie versuchen es über die Hintertür des schlechten Gewissens! Kaum schiebt man einen Kinderwagen im mittleren Preissegment durch die Gänge, rauscht die eifrige Frau vom Fach heran und flötet etwas von Kurvenstabilität und Luftzufuhr, sieht man einen preiswerteren Autositz auch nur von der Seite an, werden die fatalen Crash-Test-Statistiken hervorgekramt und erlaubt man sich, die Babymatratze im Preisbereich „Monatslohn“ nicht gleich in den ohnehin schon bis obenhin vollgestopfte Einkaufswagen zu befördern, folgt das Killerargument: „Ja, natürlich können Sie auch die Billigere nehmen! Aber ich sage nur: Plötzlicher Kindstod!“ Und dann seien Sie mal so selbstbewusst und gehen trotzdem mit der Billigsdorfer-Matratze zur Kasse, begleitet von den tadelnden Blicken der gesamten Verkäuferschaft, von der sie nicht ganz zu unrecht vermuten, dass das Lehrmädchen im Hintergrund bereits das Jugendamt kontaktiert…!

Man möchte meinen, dass man diesem Teufelskreis endlich entkommt, wenn das Kind auf der Welt ist und man am eigenen Leib erfahren musste, was man alles für Blödsinn gekauft hat. Aber nein, der sinnlose Konsumrausch nimmt auch mit Kind weiterhin seinen traurigen Lauf. Dass das Gras auf der anderen Seite immer grüner ist, wissen nämlich leider auch schon die Kleinsten und als Mama fällt man wirklich jedes Mal darauf herein. Ist man nämlich bei anderen Mamas eingeladen, spielt sich das eigene Kind dort einfach herzzerreißend brav mit einem fremden Spielzeug, trinkt plötzlich literweise das sonst verhasste Wasser aus dem fremden Trinkbecher oder hört im fremden Tragetuch urplötzlich mit dem Dauergebrüll auf. Also fährt man als motivierte Mutter noch am Nachhauseweg zum nächsten Babyladen, kauft Spielzeug, Trinkbecher und Tragetuch nach und freut sich wie ein Schnitzel, dass damit auch zu Hause die Welt in Butter sein wird. Ich brauche Ihnen jetzt wohl nicht wirklich zu sagen, dass der kleine Terrorist daheim das neue Spielzeug natürlich keines Blickes mehr würdigen wird und einen Tobsuchtanfall ungeahnter Dimensionen erreichen wird, wenn man das nagelneue Tragetuch auch nur aus der Verpackung pult...

Die einzige Ausnahme stellte hier die Diskonter-Strandmuschel dar, die wir nach unserem letzten Ausflug zum See natürlich auch unbedingt haben mussten. Nein, Noah hat sich nicht brav hineingesetzt und dort wie ein Engel mit seinem neuen Spielzeug gespielt. Aber immerhin saß er – für diese Zeit ein wahrer Rekord – für  bestimmt eine ganze Stunde lang grinsend zufrieden und brüllfrei in seiner Wippe, während er seinen studierten Akademiker-Eltern hämisch dabei zusah, wie sie verzweifelt die testweise im Wohnzimmer aufgebaute Strandmuschel nur mehr mithilfe von drei Youtube-Tutorials wieder zusammenlegen konnten.

Dienstag, 9. Juni 2015

Der Super-Mom-Moment

Eines der obersten Gesetze des Mütterdaseins müsste lauten: Immer wenn du denkst, jetzt hast du's raus, ist es Zeit für die nächste Katastrophe. Gemeinerweise hat man diese „Heureka, ich bin Super Mom“-Momente ja ohnehin selten genug, aber wenn man mal so dreist sein sollte, sich einen zu gönnen, weil man es gerade geschafft hat, neben seinem wachen Kind einen Kuchen zu backen/ohne Babykotze-Flecken am Shirt das Haus zu verlassen/nicht vor 07.00 Uhr aufzustehen, kann man sich sicher sein, dass die Strafe auf dem Fuß folgt.

Bei mir stellte sich diese Erkenntnis ein, als ich Noah mit etwa fünf Wochen zum ersten Mal zum großen Präsentier-Termin in die Agentur brachte. Unsere ersten Wochen waren reichlich holprig verlaufen und wie Super Mom hatte ich mich noch nicht mal im Traum gefühlt. Dass ich mich überhaupt traute, mit Noah allein das Haus zu verlassen, an den 45 Minuten entfernten Arbeitsort zu fahren und zu riskieren, dass er dort das gesamte Agenturgebäude in Grund und Boden brüllte, war auch eher aus Notwendigkeit denn aus Übermut entsprungen: Mein Mann rotierte von einer Magendarmgrippe wirklich schwerstens gebeutelt quasi nonstop zwischen Toilette und Bett und ich wollte ihm den Luxus einiger Stunden ohne Babygeheul bescheren.

Ich packte also Noah ins Auto, fuhr mit ihm auf die Autobahn auf und stellte zufrieden fest, dass er bereits nach fünf Minuten tief und fest eingeschlafen war. Noch zufriedener war ich, als Noah auch noch den gesamten Agentur-Besuch verschlief. So konnte ich ungestört die Runde durchs Haus drehen und mich in den „Ooohs“ und „Aaaaahs“ der Kollegen sonnen, die meinten, dass Noah das bravste Kind der Welt wäre. Wäre Noah auch nur eine Sekunde wach geworden, wäre diese Illusion natürlich sofort wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen, aber für wertvolle zwei Stunden konnte ich mal so tun, als wäre bei uns alles in Butter.

Nachdem ich mir von sämtlichen Kollegen im Haus versichern hatte lassen, wie süß mein Kind war und wie viele Haare es nicht hätte, verabschiedete ich mich wieder und beschloss, mit Noah noch einen kleinen Spaziergang zu machen. So schob ich also den Kinderwagen durch das kleine Dörfchen und setzte mich am See kurz auf eine Parkbank, um einen Müsliriegel zu essen. Und als ich da so saß, mir die Schokolade vom Mund wischte (Sie dachten doch nicht etwa, es wäre ein gesunder Müsliriegel gewesen?), vor mir die Enten am sonnenbeschienenen See, neben mir der Kinderwagen mit meinem wunderbaren, schlafenden Sohn, da dachte ich mir für einen kurzen Moment: „Eigentlich klappt das doch alles ganz prima!“

Und da war er, mein erster (und vermutlich letzter) Super Mom-Moment! Der Gedanke hatte noch nicht mal richtig meine letzte Gehirnwindung passiert, als er auch schon wieder zerstört wurde: Gedankenverloren hatte ich in meiner Tasche nach dem Autoschlüssel geangelt, um mich mit Noah nach meinem erfolgreichen Ausflug wieder auf den Weg nach Hause zu machen. Seltsamerweise fand ich den Schlüssel nicht sofort. Beunruhigt schaute ich nochmal genauer nach. Kein Schlüssel. Schon in diesem Moment machte sich ein grummeliges Gefühl in meiner Magengegend breit (und nein, es war nicht die Magendarm-Grippe meines Mannes. Die erwischte mich erst drei Tage später, als wir zur Feier unseres Hochzeitstages fein essen gehen wollten und den Tag stattdessen damit ausklingen lassen mussten, dass mir Schatz beim Kotzen die Haare aus dem Gesicht hielt...). Als absoluter Ordnungs-Monk verlor ich normalerweise nichts. Und nach 500-maligem Umdrehen der gesamten Wickeltasche bestätigte sich leider meine Vermutung: Ein Autoschlüssel war weit und breit nicht in Sicht. Auch ein Blick ins geparkte Auto brachte keine Erleuchtung: Ich hatte den Schlüssel auch nicht stecken lassen oder beim Auspacken auf den Boden gestreut. Fakt war: Ich stand mitten in der Pampa mit einem fünf Wochen alten Säugling und hatte uns beide aus dem Auto ausgesperrt.

Als ich mir so die gesamte Tragweite meines Dilemmas klar machte, wachte natürlich auf Kommando Noah auf und verfiel sogleich in eine Brüllattacke allererster Güte. Als einziges Hilfsmittel musste ich zur Flasche greifen (für Noah, nicht für mich – obwohl mir das auch nicht unrecht gewesen wäre!) und saß so also neben meinem versperrten Auto auf einer zugigen Parkbank, um dort zu versuchen, meinem brüllenden Kind seine Milch einzuflößen, während eine plötzlich aus dem Hinterhalt aufgetauchte Oma mir unablässig von der Seite zukeifte, dass ich dem Kind schon ein Hauberl aufsetzen müsse, im Schatten sei es nämlich kalt! Am liebsten hätte ich ihr das Kind mit oder ohne Haube in die Hand gedrückt und wäre ganz weit davongelaufen – von Super Mom war ich gerade so weit entfernt wie die Erde vom Mond.

Nachdem ich wirklich jeden erfolglos angerufen hatte, der mir sonst eingefallen wäre, um mir meinen Ersatzschlüssel zu bringen, gipfelte mein Super Loser-Moment darin, dass ich meinen Mann anrief. Dieser setzte sich mit einer Kotztüte ins Auto, fuhr 45 Minuten in die Pampa, überreichte mir meinen Ersatzschlüssel und setzte sich kreidebleich wieder ins Auto, um die 45 Minuten zurück zu seinem Bett zu kommen. Am liebsten hätte ich mir ein Loch im Boden geschaufelt und mich und mein Super Mom-Cape darin vergraben. Besonders als ich zu Hause Noahs Decke aus dem Kinderwagen hob und mir dabei mein Autoschlüssel entgegenfiel...