Sonntag, 20. November 2016

Tschüss, Trommelfell!

Ich würde nicht so weit gehen, mich als kompletten Einsiedlerkrebs zu bezeichnen, aber ja: Ich hab gern meine heilige Ruhe. Wenn ich nach Hause komme, mag ich es still, gemütlich und heimelig.

Dass sich das mit einem quäkenden Baby wahrscheinlich ein bisschen ändern würde, war mir durchaus auch vor Noah schon bewusst. Nur: Dass zwischen Quäken und Brüllen ein großer Unterschied liegt, und zwischen „ein bisschen“ und „absolut total“ noch ein viel größerer, darauf war ich nicht vorbereitet.

Noah war bestimmt kein Schreibaby (und ganz ehrlich, ich finde, dass jede Frau mit Schreibaby ein besonderes Ehrenabzeichen verliehen bekommen sollte!), aber er brüllte die ersten Monate seines kleinen Lebens doch ziemlich viel. Ziemlich sehr viel. Ziemlich unerträglich, unglaublich, unfassbar, Trommelfell-zerfetzend viel.

Die ersten drei Wochen wiegte der kleine Wicht uns gemeinerweise noch in Sicherheit und ließ uns glauben, dass wir das bravste Kind der Welt geschenkt bekommen hätten. Schlag Woche 4 verwandelte sich das kleine, meist schlafende Bündel jedoch in ein kleines, meist brüllendes Bündel – und das für uns ohne ersichtlichen Grund.

Plötzlich schrie sich das winzige Zwerglein stundenlang am Tag die Seele aus dem Leib. Es lief rot an, bekam vor lauter Brüllen oft kaum mehr Luft und hörte nur auf, wenn es sich vor lauter Erschöpfung nur noch in den Schlaf retten konnte. Natürlich waren wir in erster Linie von dieser neuen Entwicklung besorgt. Was machten wir falsch? Waren wir schlechte Eltern? Verstanden wir nicht, was unser Kind uns sagen wollte? Wo war der Aus-Schalter?!

Wir googelten Stunde um Stunde, befragten unsere Mütter, Tanten und Freunde und wälzten dicke Babybücher, um die Lösung für Noahs plötzliche Stimmungsschwankungen zu finden. Keine der Antworten half uns jedoch wirklich weiter. Die einen tippten auf Blähungen, die anderen auf die Zähne, die dritten auf einen Wachstumsschub – doch egal was wir probierten, keines dieser Probleme schien wirklich der Grund zu sein. Vom Kirschkernkissen bis zum Fliegergriff, vom Kümmelwasser bis zu Globuli, vom Zahnungsgel bis zur Babymassage – wir versuchten alles, und alles ohne Wirkung.

Dem wahren Grund der Schreiattacken kam wohl ein lieber Freund am Nächsten, der mir am Telefon ganz lapidar folgende Erklärung präsentierte: „Susi, jetzt stell dir mal vor, wie’s dir geht, wenn du einen richtigen Kater hast. Da bist du auch einfach nur grantig, und alles tut weh und nix passt und es kann dir auch keiner helfen, egal was er tut. Und genauso geht’s dem Noah jetzt mit der Welt!“

Diese Erklärung konnte ich zwar noch am ehesten nachvollziehen, nur leider halfen bei Baby-Weltschmerz-Kater weder Aspirin noch Rollmops und wir mussten da offensichtlich irgendwie einfach durch. Nur ist „einfach irgendwie durch“ in diesem Fall leichter gesagt als getan. Noah schrie oft Stunden am Stück, ohne Unterbrechung oder merkliche Lautstärke-Abschwächung. Und auch wenn einem das kleine Äffchen in erster Linie einfach nur leid tat, war mit dem Mitleid nach mehreren Stunden irgendwann einfach Schluss. Stundenlanges Babygeschrei ist meiner Meinung nach eines der effektivsten Foltermittel, die es neben Schlafentzug (komisch, ein weiterer Umstand der meistens mit dem Kinderkriegen einhergeht!) gibt.

Ich weiß nicht, ob es biologische Gründe hat, aber das Schreien meines Kindes löst in mir nahezu körperliche Schmerzen aus. Ich habe das unbedingte Bedürfnis, sofort zu ihm hinzustürmen, es in den Arm zu nehmen und es irgendwie zu beruhigen. Nur leider war genau das etwas, das Noah offensichtlich in diesem Moment genau am wenigsten brauchen konnte. Oft hatte ich das Gefühl, je enger ich ihn an mich kuschelte, je beruhigender ich auf ihn einredete, je mehr ich ihn durchs Haus trug, um so lauter begann er zu brüllen. Nur: Irgendwas MUSSTE ich einfach machen, ich hielt es sonst nicht aus, es sprengte mir den Kopf, ich wurde wahnsinnig, ich musste selbst schreiend aus dem Haus laufen..!!!

Das Einzige, was uns übrig blieb, war jedoch, uns irgendwie selbst tot zu stellen und Noah einfach weiter durchs Haus zu schunkeln. Trepp auf, Trepp ab, stundenlang im Kreis trugen wir das brüllende Kind, wir stellten uns den Wecker und wechselten uns beim Tragen ab, bevor einer von uns sich vom Balkon stürzte oder Noah kopfüber am Tierfreunde-Mobile aufhängte. Denn ja: Das Mitleid hält nicht ewig. Aus „Du tust mir so leid“ wird ziemlich schnell „Jetzt könntest du aber wirklich mal aufhören!“ und nach „Das kann’s doch jetzt aber wirklich nicht sein, jetzt probieren wir noch das und das!“ schließlich und endlich ein verzweifeltes „WAS WILLST DU EIGENTLICH?!!!“

Mehr als ein Mal sind mir nach stundenlangem Gebrülle selbst die Tränen wie Sturzbäche von den Wangen geronnen und ich dachte mir nur: Warum hab ich mir das bloß angetan?! Beide Hände reichen nicht aus, um die Male abzuzählen, an denen ich Noah am liebsten mit einer Rakete zum Mond geschossen oder bei der nächsten Tankstelle ausgesetzt hätte.

Ich weiß bis heute nicht so ganz wie, aber irgendwie haben wir es trotzdem durchgehalten. Langsam kamen wir auf einige Hilfsmittel, die den kleinen Schreiprinz zumindest zeitweise ein bisschen beruhigten und egal wie blöd sie waren, wir nahmen sie dankbar an. So fönte ich Noah oft eine halbe Stunde am Stück sein wallendes Haar oder trug ihn in einem seltsamen Wippschritt die Stiegen rauf und runter, während ich dabei laut „Schhhhh, schhhhh, schhhhh“ machte. Der Wippschritt ging mir sogar so in Fleisch und Blut über, dass ich mich eines Tages beschämt im Einkaufszentrum dabei ertappte, wie ich (ohne Kind!) zu hopsen begann…

Wenigstens hatte ich mich jedoch an den lebenswichtigen Tipp einer Freundin gehalten, die mir während der Schwangerschaft gepredigt hatte: „Fang dir zum Beruhigen bloß nichts an, das du nicht mehrere Stunden durchhalten kannst!“ So blieb es mir zumindest erspart, dass ich wie andere Mamas stundenlang den Maxi Cosi einarmig auf- und abstemmen, das Baby mit ausgestreckten Armen aufrecht hoch- und runterfahren oder andere Gewichtheber-Übungen machten musste. Das Schlimmste war noch, dass ich im überfüllten Wartezimmer laut „Auf einem Baum ein Kuckuck“ singen musste, weil Noah sich sonst nicht mehr beruhigt hätte.

Dass wir in der Öffentlichkeit nicht mehr solche Dramen hatten, lag allerdings schlicht und einfach daran, dass ich mich irgendwann kaum mehr in die Öffentlichkeit traute. Sicher ging ich mit Noah täglich spazieren oder besuchte mal die Großeltern, aber zu einem großen Teil machte uns Noahs Brüllerei für mehrere Monate zu Eremiten. Ich vermied alle Treffen, bei denen ich mich für sein Geschrei geschämt hätte und machte einen großen Bogen um Kaffeehäuser, Geschäfte und überfüllte Fußgängerzonen.

Schlimm genug fand ich es schon, wenn sich beim Spazierengehen eine emsige alte Oma bemüßigt fühlte, mitten am Weg stehen zu bleiben und ungläubig den Kopf zu schütteln, wenn ich mit dem alle Dezibel-Grenzen sprengenden Noah im Kinderwagen vorbeijoggte. „Hast du noch nie ein schreiendes Kind gesehen, oder was?!“, wollte ich solchen „mitfühlenden“ Passanten dann oft entgegenbrüllen – nur leider hätte man das bei der Lautstärke von Noahs Geheul ohnehin nicht gehört…

Eine Patentlösung gegen Babygebrüll habe ich leider bis heute nicht gefunden. Mit beinahe einem Jahr ließ Noah sich dann irgendwann schlicht und einfach besser ablenken. Wenn er mit 4 Monaten zu schreien anfing, hieß das, dass er das unweigerlich auch für die nächsten Stunden durchziehen würde, komme was wolle. Später ließ er sich dabei gern schon mal von einem lustigen Playmobil-Männchen (pädagogisch wertvoll), einem Krümel Kuchen (pädagogisch bedenklich) oder meinem Handy (pädagogisch schwer daneben) ablenken.

Heute können wir also auch getrost wieder das Haus verlassen, zumindest wenn Noah keinen Psycho-Baby-Tag hat. Vergessen werde ich diese Stunden allerdings in meinem ganzen Leben nicht mehr, in denen die Wände vor gellendem, bitterlichem Babygeschrei bebten und mir schier das Hirn zu zerfetzen schienen. Den einzigen Tipp, den ich also anderen Mamas für solche Schreiattacken geben kann, ist folgender: Man muss lernen, es auszuhalten. Das ist vielleicht das Schwierigste, was man je im Leben lernen muss, aber zumindest hat man danach ein Trommelfell aus Stahl, wozu das auch immer gut sein mag...

Donnerstag, 10. November 2016

Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt...

Während der oft schier endlos erscheinenden Monate der Schwangerschaft macht man sich unweigerlich Gedanken darüber, wie das wohl alles werden wird: Wie wird das Kind sein? Wie wird es aussehen? Wie wird man selbst als Mutter sein? Man macht Pläne und fasst gute Vorsätze, ertappt sich dabei, wie man andere Mütter begutachtet und bei sich denkt: So werde ich nicht sein, ich werde das ganz anders machen! Natürlich denkt man auch bei jedem schreienden Kind, das man sieht: Meines wird ganz anders!

So hatte auch ich mir ausgemalt, wie ich und mein Baby als zukünftiges Mutter-Kind-Gespann sein würden. Abgesehen davon, dass meine ersten Vorstellungen bereits um die 20. Woche zerstört wurden, als sich das Mädchen aus meiner fixen Überzeugung (so viel zum Thema mütterliches Bauchgefühl…!) plötzlich als sich sehr ungeniert in seiner vollen Pracht präsentierender kleiner Junge entpuppte, war ich mir sicher, dass Noah ganz nach meinem Mann kommen würde: Schwarze Haare, dunkelbraune Augen, ein ruhiges, sanftes Wesen. Als passende Mama zum Kind würde ich dann lustig, liebevoll und unkompliziert sein, würde nicht alles so eng sehen und mir generell keinen Stress machen.

Generell ging ich davon aus, dass ich mich mit Geburt meines Kindes sofort grundlegend verändern würde: Durch den sicher zu erwartenden Hormonstoß würde ich plötzlich zur geborenen Mutter werden. Ich würde erstens instinktiv wissen, was zu tun ist, würde nur noch Augen für mein Kind und dessen Bedürfnisse haben und mich generell in jenes schwer verliebte Muttertier verwandeln, von dem mir alle berichtet hatten: Selbst wenn mein Kind mich zum 15. Mal in einer Nacht aufwecken und mich mit vollgekotztem Pyjama und vollgekackter Windel anbrüllen würde - wenn es mich danach kurz anlächelte, wäre es das alles wieder wert und ich könnte diesem süßen Wonneproppen einfach nicht böse sein.

Wie sich herausstellte, kam wie so oft im Leben jedoch alles anders als man denkt. Anstatt dem südländisch-dunklen Teint meines Mannes hatte Noah meine Mischmasch-Augenfarbe, meine vollkommen durchschnittlich brünetten Haare und auch noch meine Hamsterbacken. Und je besser ich den kleinen Kerl kennen lernte, umso mehr musste ich auch feststellen, dass er viel öfter das Drama Queen-Gen der Mama als den väterlichen Ruhepol ausspielte. Wenn er etwas nicht sofort schaffte, war er sofort über alle Maßen frustriert, wenn er bei Hunger nicht in zwei Millisekunden etwas zu essen bekam, drehte er beinahe durch und wenn er mal verstimmt war, steigerte er sich gleich dermaßen hinein, dass er selbst fast nicht mehr aus dem Drama herauskam. Kam mir das vielleicht irgendwie bekannt vor???

Ich sah mich also mit einem kleinen Wesen konfrontiert, das erstens komplett anders war, als ich es mir gedacht hatte und das zweitens auch noch genau jene Eigenschaften von mir geerbt zu haben schien, die ich an mir selber am liebsten weggezaubert hätte. Insgeheim hatte ich mir vorgestellt, dass Noah einfach der gemeinsame Nenner unserer beider besten Eigenschaften werden würde: vom Papa die Geduld und Intelligenz, von der Mama...hm... die Vorliebe für langes Schlafen?

Doch nicht nur Noah war von den Rosa-Brillen-Vorstellungen meiner Schwangerschaft oft meilenweit entfernt - auch ich war alles andere als das komplett in seiner neuen Rolle aufgehende Muttertier, in das ich mich doch eigentlich verwandeln hätte sollen/wollen. Wenn Noah wieder mal stundenlang untröstlich vor sich hinbrüllte, flüsterte mir mein mütterlicher Instinkt rein gar keinen Tipp zu, wie ich ihn wieder beruhigen könnte, wenn ich aus dem Fenster schaute, wusste ich nicht automatisch, wie viele Schichten ich ihm bei 17°C Außentemperatur genau anziehen musste und 99% der Zeit hatte ich schlicht und einfach keine Ahnung, was dieses kleine Wesen gerade von mir wollte. War nicht in allen schlauen Büchern, die ich gelesen hatte, gestanden, dass eine Mutter bereits in den ersten Wochen lernt, ob ihr Kind gerade aus Hunger, Langeweile oder wegen einer vollen Windel schreit? Für mich hörte sich Noahs Gebrüll immer gleich an und ich konnte nur ratlos alle Punkte meiner Checkliste abarbeiten: Flascherl geben, Windel wechseln, herumtragen, Bauch massieren, Fliegergriff, Spielzeug vorhalten, ins Bett legen - Kind brüllt noch immer? Latein am Ende!

Wie sich herausstellte, hatten die Hormone bei mir auch vergessen, in dem Maße einzuschießen, dass ich meinem Kind unmöglich böse sein konnte, wenn es mich in besonders spritzigen Nächten wieder mal wie ein Uhrwerk alle 10 Minuten mit seinem protestierenden Geheul daran erinnerte, dass es bitteschön auch noch da war (als könnte ich das jemals vergessen!). Ich bin wirklich nicht stolz darauf - genaugenommen schäme ich mich sogar ziemlich dafür -, aber wie oft ich dieses kleine Wesen schon mit wenigen Wochen in schwachen Phasen sagen wir mal "scharf angesprochen" habe, ist wirklich traurig. Ich beschränkte mich zwar darauf, mit nur schwer verhohlenem Zorn vor mich hin zu zischen "Was IST denn mit dir?", was ich aber wirklich zu ihm sagen wollte, war: "DU KLEINES ARSCHLOCH, HALT JETZT ENDLICH DIE KLAPPE UND SCHLAF!!!" So, jetzt hab ich's gesagt. Fühlt sich doch gleich viel besser an.

Irgendwie herrschte zwischen Noah und mir also offensichtlich ein Kommunikationsproblem. Ich verstand nicht, was er wollte und er verstand nicht, warum ich nicht das machte, was er wollte. Dementsprechend war auch unser Auftritt als Team relativ weit von meinen Schwangerschaftsvorstellungen entfernt. Kein Wunder - weder Noah noch ich waren so, wie ich es mir ausgemalt hatte, wie sollten wir da als Mutter-Sohn-Gespann so funktionieren wie geplant?

Der Plan hatte folgendermaßen ausgesehen: Mutter und Sohn spazieren harmonisch mit dem Kinderwagen durch den Wald, Mutter und Sohn sitzen entspannt im Kaffeehaus, Mutter und Sohn liegen kichernd gemeinsam auf der Spieledecke, Mutter und Sohn flanieren durch die Stadt und reißen alle Passanten zu entzückten "Nein, so ein süßes, braves Baby!"-Rufen hin.

Die Realität: Mutter rennt im Eiltempo, halb in den Kinderwagen gebeugt durch den Wald und versucht, dem brüllenden Kind den Schnuller in den Mund zu stecken. Mutter und Sohn gehen in kein Kaffeehaus, weil sie sich da nicht hintrauen. Sohn liegt brüllend am Boden, während Mutter die angekotzte Spieldecke wäscht. Mutter und Sohn biegen in der Stadt in die dunkelsten Gassen ab, um den missbilligenden Blicken und unausgesprochenen "Na, die hat ihr Kind aber auch nicht im Griff"-Rufen der Passanten zu entgehen. Besonders gemein war, dass ich in dieser Zeit natürlich nur solche Mutter-Kind-Gespanne sah, die genau meiner Wunsch-Vorstellung entsprachen und völlig entspannt neben uns, dem Duo Infernale aus der Babyhölle, ihre harmonische Zweisamkeit zelebrierten.

Kurz gesagt standen wir also vor dem Problem, dass sowohl Noah ein anderes Baby war als ich erwartet hatte, als auch ich nicht die Art von Mutter, die ich mir gewünscht hatte. Das wirklich Fiese an der Sache war, dass ich zwar kein neu erschaffenes Muttertier, gleichzeitig aber auch nicht mehr die Alte war. Mit einem Schlag hatte ich das Gefühl, dass alle Grundfesten zerbröckelt waren, die mich als Person ausmachten. Ich war doch eigentlich die Susi, die gern lachte, gern ein gutes Buch las, sich gern mit Freunden traf, ein Bier trank und mit der Nachbarskatze schmuste - und wann hatte ich all diese Dinge in den letzten Monaten auch nur ein Mal getan?? Wieso wollte ich sie überhaupt noch tun, jetzt wo ich doch ein Wunschbaby hatte? Wieso kam ich mir plötzlich unsichtbar vor hinter all den Dingen, die sich um Noah drehten?

Die Frage war also: Wer war ich, wenn ich nicht mehr die Alte war und auch noch nicht so richtig die Neue? Eine Antwort auf die Frage habe ich ehrlicherweise bis heute noch nicht gefunden. Ich denke, dass sowohl ich als auch Noah nach wie vor jeden Tag ein bisschen mehr in unsere Rollen im dynamischen Duo hineinfinden. Je besser wir uns kennenlernen, desto besser klappt das auch - jeden Tag ein bisschen mehr und jeden Tag fühlt es sich ein kleines bisschen mehr wie Normalität an.

Ganz werden sie aber wahrscheinlich nie verschwinden, diese Tage, an denen ich mein Kind nur anschauen und denken kann: Wer bist du bloß?? Und wer ist diese Irre, zu der du Mama sagst??

Sonntag, 23. Oktober 2016

Spinat versus Leberkäse

Was war ich nicht für eine vorbildhafte Jungmami! Zumindest wenn es darum ging, „den Grundstein für ein gesundes und bewusstes Leben“ für meine kleine Tochter zu legen, wie es in dem Hochglanz-Elternmagazin hieß, das ich mir gönnte, wenn ich mal kurz zwischen Popowischen und Falscherl-Machen eine Minute Verschnaufpause hatte und mich mit angesabberter Jogginghose und fettigen Haaren elegant am versifften Küchentisch niederließ.

In besagtem Artikel hieß es, dass die zarten Geschmacksknospen meines Kindes schon in den ersten Monaten der festen Nahrungsaufnahme nachhaltig und langfristig geprägt würden. Auf gut Deutsch: Wenn ich ihr schon von Anfang an Leberkäs und Knacker zuführe, steht einer erfolgreichen Laufbahn als Metzgereifachangestellten mit Leidenschaft und entsprechender Figur nix mehr im Wege. Also legte ich mir ab dem 6. Monat sorgfältig die gesamte Bandbreite des im einschlägigen Handel verfügbaren Gläschennahrungssortiments zu.

Die Idee, das Breizeugs selbst aus eigenem Bioanbau zu fabrizieren, hatte ich schnell verworfen, nachdem ich beim nachgestellten „Perfekten Dinner“ sämtlichen meiner Freunde zu einer drastischen Gewichtsreduktion per Lebensmittelvergiftung verholfen hatte. Auch hatten wir damals nur einen Balkon, auf dem eher wilde Pilze um einen Putzlappen wuchsen als „gsunde Kräuterli“.

Jeden Tag also eröffnete ich meinem kleinen Liebling nun abwechselnd ein anderes Gourmeterlebnis, auf das die Geschmacksknospen vielfältig sprießen und gedeihen mochten. Lachs, Huhn mit Dingsbums, Biorind mit Babyerbserl, feinste Nuderl mit milder Kräutersauce und dergleichen wanderten also abwechselnd in den Mund meiner Tochter oder auf Fußboden oder Vorhänge, bevorzugt aber auf mir. Auch die Freisprechanlage bekam mal einen kräftigen Schuss Frühkarotten-Allerlei ab, als ich wieder einmal zum Amusement meines Nachwuchses mit dem BPA-freien Löffel um den Tisch tanzte, um ihn dann begleitet von „Eins für das Bärli“ oder „Der kleine Flieger möchte bitte im Flughafenmundi landen, bitte Klappe auf!“ in die richtige Öffnung zu befördern oder zumindest Teile davon.

Wenn auch von viel erniedrigendem Gesinge und Gedöns begleitet – sie hat immer brav geschluckt. Fisch, Fleisch, Gemüse, ja auch Spinat, alles ging irgendwie irgendwann mal rein. Und was hat‘s gebracht??

Heute sitze ich da, schnipple Kunstwerke aus Obst und Gemüse, die sogar professionelle Food-Stylisten vor Neid erblassen lassen würden und sage Dinge wie „Neeeiin, heute bekommt die Maus keine gute Gemüsesuppe, die essen der Papa und ich heute gaaaanz alleine!“ (Futterneidtrick, für alle die‘s noch nicht kennen!), während meine kleine Kröte sich am liebsten nur von Leberkäs, Extrawurst und Putensalami (ha, zumindest Pute!) ernähren würde und schon beim Anblick von exotischen Dingen wie Lachs oder Spinat zu spucken anfängt…

Mittwoch, 3. August 2016

Mama ist immer der Arsch

Als ich selbst noch keine Kinder hatte, stellte ich mir immer vor, ich würde mal eine coole, lustige und lockere Mama werden. Wenn ich im Vorbeigehen Mütter sah, denen die Schweißflecken, Mundwinkel und bisweilen auch die Hängetitten bis zu den Kniekehlen hingen (hätte ich gewusst, dass ich nach dem ersten Kind eine Oberweite haben sollte, die eher zwei Schrumpelrosinen glich, hätte ich wahrscheinlich damals zumindest was das betrifft milder geurteilt), die vor lauter Frust 10 Jahre älter aussahen, als sie laut Reisepass waren und nur noch zwischen einem laut gebrüllten „Justin-Kevin, lass das sofort sein!!!“ und einem resignierten „Ach, mach doch was du willst“ oszillieren konnten, dachte ich immer bei mir: Aber sicher nicht.
Mummy Cool würde es euch schon allen zeigen!

Tja. Heute bin ich an manchen Tagen statt Mummy Cool eher die fürstliche Queen der keifenden Frusttanten. Mein gesamter Wortschatz scheint an solchen Tagen aus dem Wörtchen „Nein!“ in wechselnd gebrüllten Nuancen zu bestehen und von einer lustig-lockeren Mama bin ich ungefähr so weit entfernt wie von einer knackig-fitten Bikinifigur.

Leider hat man als Mama einfach in den meisten Fällen die Arschkarte – man ist automatisch die Gemeine, die immer alles verbietet und jeden Spaß im Keim erstickt. Wer ist es, der einem laut kreischend verbietet, mit der Kindergabel diese furchtbar interessante Steckdose auszuhebeln? Mama. Wer sagt nein, wenn Oma dem Liebling an diesem Tag das fünfte Eis kaufen möchte? Mama. Und wer ist der gemeine Diktator, der einem abends das Licht ausmacht und den Spaß für beendet erklärt? Genau, die blöde, gemeine Mama…
»Bei allen anderen ist es lustig. Und ich habe die Arschkarte«

Klar, dass es da zum Beispiel bei Oma und Opa, Onkel und Tante viel lustiger ist! Die drücken leicht mal ein Auge zu, wenn das Kind an einem Tag beschließt, nur Gummibärchen zu essen – sie sind ja auch nicht dabei, wenn der Zwerg die nächsten drei Tage vor lauter Verstopfung unter größtem Schmerzgeschrei nur Kanonenkugeln kackt. Außerdem müssen Oma und Opa nie was anderes machen, als sich ein lustiges Spiel nach dem anderen auszudenken, die müssen keinesfalls dazwischen den Geschirrspüler einräumen, Abendessen kochen oder die Waschmaschine einschalten – klar, das können sie nämlich alles machen, wenn das Besuchskind abends wieder heim zur gemeinen Diktatoren-Mutter geschickt wurde!

Versteht mich nicht falsch, es freut mich ja, dass mein Kind bei der gesamten Verwandtschaft so viel Spaß und Freude hat. Aber warum muss immer ich der Arsch sein?! Ich habe auch keine Lust, immer nur den Bad Cop zu spielen!

Versteht mich nicht falsch, es freut mich ja, dass mein Kind bei der gesamten Verwandtschaft so viel Spaß und Freude hat. Aber warum muss immer ich der Arsch sein?! Ich habe auch keine Lust, immer nur den Bad Cop zu spielen! Wie wäre es zum Beispiel, wenn ich mal das Kind von den Großeltern abholen käme und sagen könnte „Sollen wir uns noch wo ein Eis holen, mein Schatz?“ weil ich weiß, dass er den restlichen Tag bei Oma und Oma zumindest auch schon irgendetwas anderes gegessen hat, das nicht aus der Süßigkeitenabteilung stammt? Oder wie wäre es, wenn Großtante Heideltraud von alleine auf die Idee kommt, dass der wasserfeste Edding nicht das beste Spielzeug für einen 2-Jährigen ist, bevor ich ihn ihm unter lautem Geheule aus den kleinen, bereits flächendeckend schwarz gefärbten Wurstfingern pellen muss?!

Klar ist man als Mama dann auch diejenige, an der das Kind sich am meisten reiben muss. Wenn Oma mal ausnahmsweise möchte, dass man eine Karotte probiert, kann man das ja noch gelten lassen – schließlich sind alle anderen Sachen, die von ihr kommen, auch immer lustig und gut. Aber wenn die langweilige Mama wieder mit ihrer Gemüsetour daherkommt, heißt es natürlich gleich von Vornherein „Neeeein, schmeckt grausig!!“.

Ja sicher könnte ich einfach meine Prinzipien über Bord werfen und das Kind vollgestopft mit Schokolade und Chips so lange vor dem Fernseher turnen lassen, bis es irgendwann von alleine umfällt. Ob ich mich dann besser fühlen würde, weil ich einen Tag lang mal zu allem „Ja“ statt „Nein“ sagen durfte, wage ich allerdings zu bezweifeln. Dann würde ich mich nämlich fühlen wie die andere Sorte von Mama, die mir damals am Spielplatz ein Dorn im Auge war: die Wurschtigkeits-Mutter, die mit der Zigarette auf der Bank saß und lieber einen neuen Klingelton am Handy installierte als ihrem Kind zu erklären, dass es vielleicht lieber nicht versuchen sollte, in der Sandkiste einem anderen Kind mit dem Schaufelchen eine Schädelfraktur zuzufügen.

Den goldenen Mittelweg als Mama zu finden, ist (zumindest für mich) keine leichte Aufgabe. Ich wechsle oft im Minutentakt zwischen Good Cop und Bad Cop und ärgere mich oft genug über mich selbst. Aber wahrscheinlich muss man die Dinge einfach ein bisschen gelassener sehen: Als Mama ist man zwar meistens der Arsch – aber irgendwie braucht ja doch jeder Mensch einen davon...

Superman, nimm dich in acht

Ich werde verfolgt. Wenn ich die Stufen zum Kindergarten hochgehe, steht er plötzlich vor mir, wie aus dem Nichts. Wenn ich meinen Einkaufswagen arglos durch die Gänge schiebe, biegt er unvermittelt um die Ecke. Selbst bei McDonalds bin ich nicht vor ihm sicher.

Er macht mir und meiner Tochter jedes Mal ein wenig Angst und das, obwohl er eigentlich dazu berufen ist, den Armen und Schwachen unter die Arme zu greifen, wenn ihnen Gefahr droht. Ich spreche von Superman, oder besser gesagt von seiner etwa 1,10 m großen Schmalspurversion.

Seit sich eine große schwedische Bekleidungskette aus mir unerfindlichen Gründen kurz nach Weihnachten dazu entschieden hat, den armen, leidgeplagten Eltern eine sonst nur im Fasching oder Kostümverleih erhältliche, mit eingenähtem Sixpack garnierte Spandex-Version der Arbeitskleidung meines Antihelden preislich geradezu nachzuwerfen, tauchen an jeder Ecke Miniversionen von ihm auf.

Das an sich wäre ja noch tragbar, wenn nicht mit seinem Erscheinen fast immer auch ein inbrünstiger Schrei mit nach oben gestreckter Faust oder rüpelhaftes, unkontrolliertes Durch-die-Gegend-Boxen oder dergleichen einhergehen würde. Und die lieben Eltern stehen daneben und gucken selig aus der nicht ganz so sixpackgewölbten Wäsche: „Mei, ist er nicht süß?! So viel Energie! Na so lieb aber auch!“

Da wird dann auch mal voller Rührung drüber hinweggesehen, dass mir der Kleine mit seinem Mini-Einkaufswagen mal eben hinten die Achilles-Sehne weggefahren hat. Ähnlich das (bis auf eine ausgemachte Verhaltensstörung) vielleicht sogar ganz süße fremde Mäderl mit Mäuseohrenhaarreif, das mir letztens im Restaurant mal eben unangekündigt von hinten ein Stückchen Gouda von meiner Käseplatte riss, weil – O-Ton Eltern – „Mäuse nun mal Käse fressen“.

Unschuldige Mamis krankenhausreif fahren oder ihnen den wohlverdienten Käse mopsen? Nicht mit mir! Rache ist bekanntlich süß.

Nicht umsonst hat mir das Universum unlängst einen Wink gegeben, indem des mir in einer Facebook Ad ein Mia & Me Kostüm mit – Achtung – Wasserblitzpistole für meine Fünfjährige geradezu aufdrängte. Nimm dich in acht Superman, beim nächsten Zusammentreffen heißt es „High Noon“ und ich garantiere dir, da bleibt kein Auge trocken...

Dienstag, 14. Juni 2016

Mama-Not macht erfinderisch

Hätte mich letztens jemand dabei beobachtet, wie ich zum dritten Mal in Folge auf der Autobahn an unserem Haus vorbeigefahren bin, hätte er sich vermutlich gefragt, ob ich noch ganz bei Trost bin.

Wäre der jemand jedoch eine Mama gewesen, die am Rücksitz mein schlafendes Kind erspäht hätte, hätte sie vermutlich nicht mal mit der Wimper gezuckt.

Als Mutter macht man nämlich so allerhand Dinge, für die sich andere Leute (inklusive man selbst bevor man ein Kind bekommen hat) kräftig an die Stirn schlagen würden. Nach 18.00 Uhr die Toilettenspülung nicht mehr zu betätigen (das Kind könnte aufwachen!), selbst dann nicht mit dem Kinderwagen stehen zu bleiben, wenn einen eine Wespe in den Hals sticht (das Kind könnte aufwachen!) oder eben mit dem Auto von Hallein nach Golling nach Bergheim und wieder retour zu fahren, weil das Kind gerade eingeschlafen ist und man unmöglich von der Autobahn abfahren kann (das Kind -… ihr wisst schon!) gehören da noch zu den harmloseren Marotten.

Eines meiner persönlichen Jetzt-könnt-ihr-mich-dann-einliefern-Highlights war zum Beispiel der Jesolo-Urlaub letztes Jahr, in dem mein Mann und ich uns sobald das Kind abends eingeschlafen war, bäuchlings am Teppich gaaanz leise durch den kleinen Jalousien-Spalt des Hotelzimmers quetschten, nur um am Balkon noch ein trauriges Dosenbier zu trinken, ohne das holde Kindlein aus dem Schlaf zu reißen.

Viele dieser für normale Menschen kaum nachvollziehbaren Aktionen haben mit dem Thema Schlaf zu tun, es gibt aber auch andere Bereiche, in denen einen die Not erfinderisch macht. Mittlerweile habe ich ein ganzes Arsenal an Vermeidungsstrategien entwickelt, mit denen ich so manches Alltags-Drama (meistens) umschiffen kann.

Am Frühstückstisch wird das Marmeladeglas so lange hinter der Blumenvase versteckt, bis das Kind auch was Gesundes gegessen hat, im Einkaufszentrum kenne ich den genauen Millimeter, an dem man abbiegen muss, um das münzfressende Selbstfahr-Auto nicht in Sichtweite kommen zu lassen und potentiell gefährliche Wörter wie „Schokolade“, „Schnuller“ oder „Stirnlampe“ (ja, für mein Kind ist das mindestens so toll wie eine Tafel Milka!) werden im täglichen Sprachgebrauch wie bei „Activity“ kreativ umschrieben.

Nennt es Inkonsequenz oder einfache erzieherische Inkompetenz, aber ohne diese Tricksereien würde bei uns regelmäßig schon vor dem Frühstück der Haussegen schief hängen. Und da nimmt man eben gerne mal in Kauf, dass man sich mit einem Stück Schokokuchen vor dem Kind klammheimlich am Klo verstecken muss…

Mittwoch, 8. Juni 2016

Verbotener Freigang

Zu den Freuden des Jungmutter-Daseins gehört heutzutage ja auch der Besuch eines Rückbildungs-Gymnastikkurses. Neben Damm-Massage, Stillhütchen & Co ist das noch so eine Sache, von der einem vorher nie jemand was erzählt hat.

Warum zeigt Constanze Rick in „Prominent“ zum Beispiel Heidi Klum, wie sie sechs Wochen nach der Geburt wieder rank und schlank am Victoria’s Secret Catwalk entlangläuft und nicht, wie sie gemeinsam mit zehn anderen schwabbeligen Neo-Mamis auf der Turnmatte liegt und ganz fest versucht, ihren Beckenboden zu visualisieren, damit sie nicht mit 50 inkontinent wird?

Ganz abgesehen davon, dass so ein Kurs ein eigenes skurriles Kapitel für sich wäre („Und jetzt ertasten wir mal alle gemeinsam unser Schambein!“), bescherte er mir schon vor Beginn wieder mal einen dieser ganz besonderen Mama-Momente.

Während ich vor der ersten Kurseinheit im Flur wartete und die rüstigen Omas vom Vorkurs aus dem Gymnastikraum quollen (die Inkontinenten ohne Rückbildungskurs?), beäugte ich interessiert die anderen Mamas, die mit mir gemeinsam turnen sollten. Und während ich mir so eine nach der anderen ansah, wurde mir siedend heiß bewusst, dass sie alle etwas hatten, das ich nicht hatte.

Und damit meine ich nicht ein gut sitzendes Makeup, nein – während ich nur mit meiner Tasche am Schoß dasaß, hatten alle anderen dort ihr Baby sitzen. Ich war die einzige Rabenmutter, die ihr Kind nicht zum Kurs mitgenommen hatte!

Als komplette Außenseiterin versuchte ich trotzdem, mit den anderen Mamas ins Gespräch zu kommen und geriet sofort in Erklärungsnot. Wo denn mein Kind sei? Warum ich es denn nicht mithätte? Wie ich das denn so lang aushielte ohne ihn?

Diese drei Fragen klingen auf den ersten Blick vielleicht leicht zu beantworten, aber in Wahrheit zogen sie wieder mal einen Rattenschwanz an Wahrheiten, Halbwahrheiten und Zweifeln hinter sich her. Die offiziellen Antworten waren schnell gegeben: Mein Kind war bei der Oma, ich hatte es nicht mit, weil es im Gegensatz zu allen anderen anwesenden 2-3 Monate alten Babys bereits fast 9 Monate alt und somit höllisch mobil war und ich hielt es natürlich schwer ohne ihn aus, aber eine Stunde würde schon irgendwie gehen.

Und nun zur inoffiziellen Version. Noah war tatsächlich bei meiner Mutter, so weit so gut. Auch das mit dem Alter und der Mobilität stimmte. Nach meinem Kaiserschnitt hatte ich mit dem Rückbildungskurs ohnehin länger warten müssen als normal, dann waren im Sommer keine Kurse gewesen und mein innerer Schweinehund hatte es mir erst Anfang des Winters erlaubt, mich tatsächlich für einen 90 Euro teuren Kurs, zu dem ich eigentlich gar nicht gehen wollte, anzumelden. Angeblich war es ja nie zu spät dafür, gleichzeitig aber ENORM wichtig, Inkontinenz lässt grüßen und so weiter und so fort.

Während die anderen Babys während des Kurses glucksend auf der Matte lagen, wäre Noah mit 9 Monaten also kreischend durch den Saal gekrabbelt, hätte gleichzeitig versucht, die Sprossenwand zu erklimmen, mir die Hose auszuziehen, die Turnmatte aufzuessen und den anderen Kindern die Augen auszupieksen.

Zu meinen tollen Beckenboden-Übungen wäre ich also keine Sekunde gekommen. Nur war das eben nicht der einzige Grund. Schlagt mich tot, aber ich hatte mich auf die Stunde ohne Kind ehrlich gesagt gefreut und hielt es sogar wunderbar mal für so kurze Zeit ohne ihn aus, ohne mich gleich tränenüberströmt danach zu verzehren, im gleichzeitig etwas aus der Hand zu reißen, das er nicht haben durfte und ihm dabei die verschmierte Banane aus den Haaren zu klauben.

Und , aloha, schon war es wieder da, das Versager-Mama-Gefühl: Warum hielten es alle anderen Mütter scheinbar keine Minute ohne ihr Kind aus? Warum brach ihnen das Herz, wenn sie eine Nacht mal nicht 5 Mal hintereinander aufstehen mussten, um es wieder in den Schlaf zu wiegen? Warum konnten sie nicht anders, als beim Abendessen alle drei Sekunden verstohlen auf ihr Handy zu blicken, ob der Papa von zu Hause nicht einen süßen Schnappschuss des kleinen Lieblings geschickt hatte? Und die viel wichtigere Frage: Warum konnte ich das alles wunderbar und genoss es sogar, mal wieder frei und ungebunden zu sein?

Als Noah etwa ein halbes Jahr alt war, war ich sogar mit meinen beiden besten Freundinnen auf unser jährliches Mädels-Wochenende gefahren, samt Übernachtung und zweitägiger Abwesenheit. Und anstatt vor lauter Sehnsucht nach meinem Kind dort in meinen Cocktail zu heulen, hatte ich doch tatsächlich Spaß! Ich hatte es genossen, mal wieder einfach Rolltreppe fahren zu können, anstatt das ganze Haus nach einem Lift abzusuchen, ich hatte es toll gefunden, nur mit einem kleinen Rucksack am Rücken das Haus zu verlassen, es war einfach himmlisch für mich, eine ganze Nacht ungestört durchzuschlafen und mich am Morgen noch fünf Mal genüsslich in den Federn umzudrehen.

Ehrlich gesagt hatte ich mich sogar bei dem Gedanken ertappt, wie schnell man sich doch wieder an ein Leben ohne Kind gewöhnen könnte. Machte mich das wieder mal zur Top-Favoritin für die Rabenmutter des Jahres?

Soll ich euch was sagen? Ich glaube nein. Ich glaube, dass man die Zeit ohne Kind als moderne Super-Mutter wieder mal einfach nicht genießen darf. Weil man dann ja automatisch sein Kind nicht genug liebt. Von allen Seiten hört man zwar „Nimm dir mal ne Auszeit! Lass dir doch mal helfen und tu auch was für dich!“, aber wenn man es dann tatsächlich tut, erntet man von allen Seiten nur schiefe Blicke. Teilweise ist das vielleicht sogar einfach nur Neid.

Warum darf die jetzt mit ihren Mädels Pizza essen gehen, während ich wieder mal drei Stunden lang versuchen werde, mein Kind in den Schlaf zu hoppern? Was bildet die sich ein, dass sie mit ihrem Mann gemeinsam ins Kino geht, während ich mich mit meinem zu Hause darüber streite, wer vergessen hat, die Windeln einzukaufen?

Als Mutter darf man offensichtlich nichts lieber tun, als seine Zeit mit seinem Kind zu verbringen, und das ununterbrochen und zu jeder Tages- und Nachtzeit. Man selber hat keine Bedürfnisse oder Wünsche mehr zu haben, schließlich ist man ja jetzt Mama, und das mit Leib und Seele! Anfangs machte ich mir deswegen selbst die Hölle heiß. Warum hatte ich mich offensichtlich selbst nicht genug im Griff, dass ich meine egoistischen Wünsche für mich selbst nicht abstellen konnte? Warum fand ich es nach einer Woche nonstop Noah nicht toller, mit ihm Bauklötzchen zu spielen, als mich mal für 30 Minuten in die Badewanne zu legen? Irgendwann wurden mir die Selbstvorwürfe Gott sei Dank zu müßig.

Heute nehme ich mir die wenigen Auszeiten, die ich vom Mamasein bekomme, mit Genuss. Ich weiß, dass es Noah bei Papa oder Oma wunderbar geht und er deswegen nicht gleich meint, ich hätte ihn für immer verlassen. Ich habe akzeptiert, dass ich in meinem Leben eben auch noch etwas anderes bin als „nur“ Noahs Mama und mir ruhig auch mal erlauben darf, ohne ihn so etwas wie Spaß zu haben.

Wenn ich dann wieder mal mit meinen Freundinnen auf einen Kaffee war oder eine Nacht durchgeschlafen habe, wenn ich eine Stunde allein shoppen war oder mit meinem Mann auf ein Glas Wein, dann bin ich wieder stärker, fröhlicher und freue mich auf mein Kind. Dann bin ich wieder mehr ich selbst und gleichzeitig mehr Noahs Mama. Wenn mich das zur Rabenmutter macht, dann soll es so sein. Zumindest bin ich dann eine Rabenmutter, die nach Schaumbad und Kaffeehaus duftet.

Dienstag, 12. April 2016

Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit

Wenn man vorhat, ein Kind in diese Welt zu setzen, sollte man sich am besten gleich vorher über eines im Klaren sein: Bei kaum einem anderen Thema wird dermaßen viel gelogen, verschwiegen und beschönigt wie beim Kinderkriegen. Das, was die Leute erzählen und das, was hinter den Kulissen wirklich passiert, ist dabei oft so weit voneinander entfernt wie die Erde vom Mond.

Es ist nicht so, dass andere Mütter einen bei diesem Thema aus reiner Bosheit oder Hinterhältigkeit anlügen - meist geschieht dies eher aus Selbstschutz. Die große Wahrheits-Verbiegerei beginnt dabei bereits, bevor man überhaupt ein Kind hat - nämlich meist dann, wenn man beschlossen hat, eines zu bekommen.

Kaum jemand erzählt seinen Kollegen in der Mittagspause, dass er jetzt "bastelt" oder läuft mit einem großen "Pille abgesetzt!"-Schild um den Hals herum. Schließlich könnte es ja sein, dass es nicht beim ersten Mal klappt. Oder beim zweiten Mal. Oder auch beim 40. Mal. Und nichts könnte man in dieser Situation schließlich weniger gebrauchen, als die ständigen Fragen des interessierten Publikums: "Und, hat's schon geklappt?", "Und, bist du endlich schwanger?".

Also beginnt man meistens bereits in diesem Stadium des Kinderkriegens mit der Lügerei. Fragt einen wieder mal ein besonders sensibler Zeitgenosse am Biertisch, wie es denn bei einem mit dem Thema Kinderplanung aussieht, läuft man rot an, wiegelt ab und murmelt in sein Glas (Apfelsaft - man könnte ja vielleicht DOCH schon schwanger sein!) "Ach, mal schauen... keine Eile...erst mal noch das Leben genießen..blablabla...", obwohl man in Wahrheit bereits Basalthermometer, Ovulationstests, Schwangerschaftstest und sexy Unterwäsche zu Hause bereitgelegt hat.

Während diese kleinen Halbwahrheiten den anderen abgesehen von einem tollen Klatsch- und Tratschthema noch wenig vorenthalten, sieht es beim Thema Schwangerschaft dann schon ganz anders aus. Hätte mir bereits vor meiner Schwangerschaft jemand offen und ehrlich von Zervixschleim, Damm-Massage & Co. erzählt, hätte ich mir das Ganze vielleicht noch mal überlegt! Ziemlich wahrscheinlich ins Grübeln wäre ich aber gekommen, wenn mir auch nur ein Mensch ehrlich von der Geburt erzählt hätte.

Gut, dass so ein Geburtsvorgang ein Partyspaß ist, hatte noch keiner behauptet, aber das wirkliche Ausmaß an Schmerzen, Angst und vor allem Demütigung hatte niemand auch nur mit einem Wort erwähnt! Hätte es jemand geschafft, mir die Situation auch nur annähernd realistisch zu schildern, hätte ich mich vielleicht besser darauf vorbereiten können. Wie ich das gemacht hätte, weiß ich zwar nicht, aber vielleicht hätte es geholfen, mich als Nacktmodell zum Anfassen für eine Gruppe Medizinstudenten zur Verfügung zu stellen. Vielleicht hätte mich das bereits genug abgehärtet, dass es mir piepegal gewesen wäre, mir von 20 Leuten gleichzeitig in jede Körperöffnung lugen zu lassen und mich dabei drehen und wenden zu lassen wie ein Stück Schlachtvieh.

Das wahre Ausmaß der Unwahrheiten wird einem aber erst bewusst, wenn das kleine Wesen die Welt erblickt und gleichzeitig vollkommen für sich in Beschlag genommen hat. Bis heute bin ich mir noch nicht sicher, ob es allen am Anfang gleich geht und es nur niemand ehrlich sagen will, oder ob es wirklich nur mir so ergangen ist. War die Übersetzung oft gehörter Mama-Sätze in Wahrheit gleichbedeutend mit folgenden von mir erlebten Szenarien?

"Er ist ein total braves Baby - schreit eigentlich nur, wenn er Hunger hat!"
Das Baby schreit zu jeder möglichen Tages- und Nachtzeit und man hat keine Ahnung warum. Hat es Flascherl oder Busen im Mund, kann es nicht gleichzeitig schreien - deswegen erzählt man allen, dass es der Hunger war. In Wahrheit ist es aber viel öfter Bauchweh, Schlafmangel, Langeweile, Kälte, Wärme, allgemeines Unwohlsein oder was auch immer - leider gehört man ja nicht zu den Supermamis, die bereits nach drei Tagen verstehen, was GENAU einem das Kind mit seinem Gebrüll sagen möchte. Oft genug gibt es Tage, an denen das kleine Wesen schon brüllt, bevor es überhaupt die Augen aufgemacht hat - und keiner hat einem davon erzählt, wie unglaublich hilflos, allein und machtlos man sich fühlt, wenn stundenlanges Babygeschrei von den Wänden widerhallt ohne dass man errät, was dem kleinen Wurm gerade die Laune verdirbt.

"Also meine Kleine schläft schon durch, seit sie 6 Wochen alt ist!" 
Durschlafen ist relativ. Was das Thema Schlaf betrifft, bin ich sicher nicht objektiv, aber es KANN unmöglich sein, dass jedes verdammte Baby auf dieser Welt bereits mit wenigen Wochen durchzuschlafen scheint und es nur mein Kind nicht schafft. Zuerst einmal ist man also nur zerknirscht, deprimiert und versinkt in Selbstmitleid. Fragt man dann allerdings nach, kommt oft ein kleines Stückchen Wahrheit der "Durchschläfer" ans Licht: Aha, das Kind geht erst um Mitternacht schlafen und ist dann um 05.00 Uhr wieder wach! Aha, man muss ihm zwischendurch "nur" ein paar Mal den Schnuller geben, aber "ansonsten" schläft er durch! Aha, 1-2 Flascherl braucht er natürlich dazwischen schon, aber SONST schläft er durch! Wenn das so ist, schläft Noah auch bereits durch, seit er 6 Wochen alt ist. Nämlich die 15 Minuten, bis er wieder nach seinem Schnuller oder dem Flascherl verlangt....


"Ja, ein bisschen anstrengend ist es schon manchmal!"
 Ich kann das Maß an Erschöpfung niemandem beschreiben, deswegen nenne ich es einfach ein "bisschen anstrengend". Man hat ja wohl gewusst, dass das ganze Kinderkriegen kein Wellness-Urlaub wird, aber ich habe ehrlich noch nie in meinem Leben so einen Grad an Erschöpfung, Müdigkeit und K.O.-sein erlebt. Stell dir einfach vor, du müsstest 100 Runden am Sportplatz laufen und dürftest dich danach nicht hinsetzen. Auch nicht stehenbleiben und was trinken. Sondern immer weiterlaufen, immer, immer weiter. Was ich noch vergessen habe zu erwähnen, ist, dass du während des Laufens verschiedene Geschicklichkeitsspiele bewältigen müssen und dabei mit Düsenjet-lauter Blasmusik beschallt wirst. Und wenn du dann so richtig, richtig am Ende bist und denkst, du dürftest jetzt für 2 Minuten Pause machen oder vielleicht auch nur ungestört auf die Toilette gehen, ertönt wieder der Startschuss und du trabst erneut los - auch wenn du eigentlich gedacht hast, dass es rein körperlich gar nicht mehr möglich ist. Das Gute daran: Man lernt tatsächlich, dass man viel mehr schaffen kann, als man eigentlich dachte. Iron Man ? Pah, da können frischgebackene Mütter nur lachen!

"Manchmal gehe ich jetzt sogar ungeschminkt aus dem Haus!"
Ich bin froh, wenn ich wenigstens voll bekleidet außer Haus gehe und dabei nur auf einem Kleidungsstück Babykotze-, Kacke- oder Breiflecken habe. Beim Friseur war ich das letzte Mal vor der Geburt und ich habe ernsthaft überlegt, ob ich mir eine Handy-Erinnerung dafür setzen soll, ob ich eh eine Hose anhabe, wenn ich das Haus verlasse. Tatsache ist: Schlafmangel macht das Hirn zu Matsch und hat man erst mal das Kind mit seinen 1000 Flascherl, Decken, Windeln, Spielzeugen und Jäckchen ausgehfertig gemacht, ist man so erledigt, dass man schlicht und einfach vergisst, noch mal einen Blick in den Spiegel zu werfen, bevor man das Haus verlässt. Was wahrscheinlich auch besser ist, da man sonst vor lauter Schreck in Ohnmacht gefallen wäre, hätte man die käsebleiche Vogelscheuche mit Augenringen bis zum Bauchnabel gesehen, die einem da entgegen geblinzelt hätte - und das auch noch ungeschminkt, versteht sich.

Sollte es also tatsächlich den meisten Müttern gleich gehen, fragt man sich, warum einem das alles noch nie jemand ehrlich gesagt hat. Die Antwort darauf ist wahrscheinlich eine Mischung aus mehreren Wahrheiten. Erstens will man sich vor den anderen keine Blöße geben. Man soll doch gerade die berühmte "schönste Zeit des Lebens" erleben und möchte nicht zugeben, dass man das offensichtlich nicht so tiptop hinbekommt wie alle anderen. Zweitens glaubt man Dinge, die man nur oft genug sagt, irgendwann selbst - und gerade in dieser Zeit braucht man oft ein bisschen Selbstbelügung zum Überleben. "Danke, uns geht's suuuuper!" Echt? Na wenn ich das schon selber sage, wird's irgendwie auch stimmen!

Und drittens habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Wahrheit zu diesem Thema oft gar niemand hören will. Gerade zu Beginn war ich zu allen super-ehrlich, weil ich mir geschworen habe, meinen Freunden und Bekannten kein Schmierentheater vorzuspielen. Frei von der Leber weg erzählte ich ihnen also von der schrecklichen Geburt, dem unerträglichen Schlafmangel, dem nervtötenden Gebrüll. Und merkte schnell, dass die Leute das eher verstörte. Trifft man jemanden mit einem kleinen Baby, MÖCHTE man ganz einfach hören, dass es allen gut geht und rundherum alles zuckerlrosa ist. Vielleicht, damit man keine Angst davor bekommt, selbst ein Kind zu bekommen, vielleicht weil man sich nicht wirklich mit den Problemen andere beschäftigen möchte - ich weiß es nicht.

Letzten Endes habe auch ich mich ein Stück weit angepasst und befolge den Rat einer lieben Freundin: "Irgendwann trägt man einfach noch mehr Bobbi Brown Concealer auf und lügt mit den anderen mit". Komplett ehrlich bin ich nur noch denen gegenüber, die es auch vertragen und damit kann ich leben. Schade finde ich es trotzdem - denn wären alle ein kleines bisschen ehrlicher zueinander, müsste man sich als Mama nicht oft so unendlich allein mit seinem Problem fühlen und könnte sich stattdessen denken: Wenigstens bin ich nicht die einzige, der es so geht.

Mittwoch, 30. März 2016

Will ich es wirklich wissen?

Ich glaube beim nächsten Mal werde ich mir das Geschlecht meines Kindes nicht mehr sagen lassen. Warum? Wenn man noch nicht weiß, was es wird, hat man alle Möglichkeiten: Eine kleine Ballerina, ein wilder Fußballer – es könnte alles sein, bis es dann plötzlich heißt: „Was denken Sie denn, was es wird?! Ich: „Das Bauchgefühl sagt ja ein Mädchen, aber ein Bub wäre …“ Und noch bevor ich es aussprechen konnte, sagte mir der Herr Doc schon, dass es ein Mädchen wird.

Mein Mann stieß einen Seufzer aus und meinte, er hätte es ja gewusst. Ob das nun positiv oder negativ war, weiß ich bis heute nicht, aber viel wichtiger ist wohl die Frage, wie sich das für mich anfühlte! Positiv, negativ, ich konnte es gar nicht so genau sagen. Irgendwie hatte ich jedenfalls das Gefühl, irgendetwas beraubt worden zu sein, was immer das auch sein sollte. Vielleicht der Möglichkeit, einen kleinen Fußballer im süßen Dress mit Papa über den Rasen tollen zu sehen?

Ein Mädchen, oh Gott, ich würde also eine Tochter bekommen. War das gut? Konnte so eine Mutter-Tochter-Beziehung nicht unglaublich kompliziert sein? Konnte man da nicht unglaublich viel Schaden anrichten? Konnte ich das, eine Tochter haben?? In den ersten Stunden nach dem Arztbesuch machte ich mich völlig verrückt mit solchen Gedanken. Zig Mal nervte ich meinen Mann mit Fragen wie: „Hättest du nicht gerne einen kleinen Fußballer?“ Er: „Ist sie aber nicht“ Ich: „Aber bist du jetzt traurig"? Er: „Nein, sie war ja nie ein Fußballer, es ist ein Mädchen.“

Ich konnte aber einfach keine Ruhe geben und zermarterte mir den Kopf mit diversen Was-wäre-gewesen-wenn-Szenarien. Wie immer blieb mein Mann pragmatisch und meinte: „Schatz, niemand auf der Welt könnte dir hier und jetzt garantieren, dass der Bub, wenn er denn einer geworden wäre, mal nicht Friseur oder Balletttänzer geworden wäre, also krieg dich bitte wieder ein! Es ist, was es ist, ein tolles, süßes Mädel!“. Natürlich hatte er recht, aber irgendwie fühlte es sich trotzdem nach Verlust an, eigenartig. Gott sei Dank sind solche Verlustgefühle aber auf einmal komplett verschwunden, wenn das Baby geschlüpft ist. Denn dann sind solche Gedanken plötzlich absolut relativ. Dann ist es, was es ist und es ist gut!

Donnerstag, 25. Februar 2016

Österreich sucht das Superbaby

Andere Mütter zu kennen, deren Kinder im gleichen Alter wie das eigene sind, ist zugleich Fluch und Segen. Auf der einen Seite ist man so unendlich froh, wenn man mal hinter vorgehaltener Hand ein paar ehrliche Worte dazu hört, dass es anderen vielleicht gerade ähnlich geht.

Dass andere Babys auch seit drei Tagen nichts mehr geschlafen haben, den Brei nur noch durchs Zimmer pfeffern oder beim Anziehen in Terrorgeschrei ausbrechen, als würde man ihnen einen Fuß abhacken, anstatt nur zu versuchen, selbigen in eine bunte Bärchen-Strumpfhose zu quetschen. Man kann vielleicht Hoffnung schöpfen, wenn man von anderen hört: Das war bei uns letzte Woche auch so, aber jetzt ist es vorbei!

Andererseits bedeutet das natürlich leider auch das Gegenteil: Fängt eine andere Mama damit an, über ein neues Problem zu berichten, kann man sich leider meist schon die Uhr danach stellen, wann der eigene Zwerg denselben Spinner entwickelt.

Vor allem ist es dann gleich noch mal so schlimm, wenn man mit einem Problem plötzlich alleine dasteht. Was, eure wachen nachts nicht alle 20 Minuten auf? Noch immer nicht? Ist mein Kind vielleicht als einziges so komisch? Stimmt mit ihm vielleicht was nicht?

Ob man will oder nicht, lässt man sich so auf einen komplett sinnlosen Vergleichskampf ein, den man unmöglich gewinnen kann. Auch wenn man sich vorher noch 100 Mal geschworen hat, dass man sich nicht davon stressen lassen wird, was andere Kinder tun, ertappt man sich spätestens nach ein paar Monaten unweigerlich dabei, einen schiefen Blick in andere Kinderwägen zu werfen. Was, die Kleine dreht sich schon? Oha, der süße Wonneproppen zieht sich schon am Sessel hoch, krabbelt schon?!

In den ersten Monaten wurde ich von diesem Druck noch mehr oder weniger verschont, weil Noah bei den meisten Dingen beängstigend früh dran war. Die ersten Zähne mit vier Monaten, drehen in beide Richtungen, krabbeln, aufstehen – das alles erledigte der kleine Terrorist im Eiltempo. Die nächste große Aufgabe schien ihn allerdings – typisch Mann! – nicht besonders zu interessieren. Zuhören, verstehen, reden? Laaaangweilig!

Damals schickte mir eine Freundin ein süßes Video ihrer kleinen Tochter, die schon eifrig zu „Nein nein“ das Köpfchen schüttelt und bei „Wiiie groß ist…?“ die Ärmchen in den Himmel streckte. Ganz offensichtlich stellte dieses kleine Mädchen bereits eine gewisse Verbindung zwischen dem her, was man zu ihr sagte und dem, was sie selbst tat.

Fragend blickte ich vom Video auf und ließ meinen Blick zu Noah schweifen, der am Boden gerade versuchte, sich in ein Maximarkt-Prospekt einzuwickeln. „Wie groß ist der Noah?“ fragte ich enthusiastisch und warf dabei die Arme in die Luft. Noah sah mich verständnislos an und versuchte, sich die Seite mit den Tiefkühlpizzen als Ganzes in den Mund zu stecken.

Auch 10 Minuten später waren wir von Erfolg noch weit entfernt: Noah weinte inzwischen, weil ich ihm dauernd die Hände in die Höhe riss und ich überließ ihn resignierend wieder seiner Werbeliteratur.

Natürlich weiß ich, dass Kinder sich in extrem unterschiedlichem Tempo entwickeln. Selbstverständlich ist mir bekannt, dass bei verschiedenen Babys oft mehr als ein Jahr zwischen dem ersten Wort, dem ersten Schritt oder auch nur dem ersten Haar liegt. Aber insgeheim flüstert der kleine Teufel auf der Schulter dann eben doch manchmal: „Meinst du nicht, dass er das in seinem Alter auch schon können sollte?“

Gut, vielleicht war es ja sogar ein gutes Zeichen, dass das kleine Äffchen mit 10 Monaten lieber keine Kunststücke machen wollte, vielleicht zeugte das ja von besonderer Eigenständigkeit und Intelligenz??

Im Prinzip ist das natürlich auch vollkommen wurscht. Wenn Noah erst mit drei Jahren sein erstes Wort gesagt hätte oder sich noch die nächsten Jahre lieber in unsere Werbeprospekte einwickeln möchte als daraus ein pädagogisch wertvolles Kunstwerk zu basteln, ist das noch lange kein Grund, ihn zum Kinder-Chinesisch-Kurs anzumelden. Ich sage nur, dass man als Mutter offensichtlich nie so ganz vor ein bisschen Konkurrenzdruck gefeit ist.

Es gibt immer ein anderes Baby, das weniger schreit, mehr schläft, früher geht oder schöner spricht – davon soll man sich aber auf keinen Fall graue Haare wachsen lassen. Außer natürlich es gibt demnächst eine spezielle Casting-Talentshow für Babys, dann sieht Noah mit seinem Haufen zerrissener Papierschnipsel neben den anderen singenden Tanzbabys wahrscheinlich ganz schön alt aus…

Donnerstag, 18. Februar 2016

Wer ist hier der Boss?

Wer kennt es nicht: Großeltern, die nicht umhin können, sich in Erziehungsfragen einzumischen. Bis heute habe ich noch keine befriedigende Patentlösung für den Umgang mit dieser, naja, nennen wir es „Herausforderung“ gefunden.

Kaum hat man die lieben Kleinen zum Beispiel mühsam an eine Zehe Mandarine und eine halbe Banane am Tag gewöhnt (das war ein Kraftakt, Sie können mir glauben!), kaum wagen sich ihre Geschmacksknospen über die Italienische und die Amerikanische Kochkunst (Pizza, Pasta, Burger) hinaus, steht ein Wochenende mit den Großeltern an und die Mäuse haben schon eine Packung Katzenzungen in den kleinen Mäulchen, bevor die Oma überhaupt zur Tür rein ist und „Hallo“ gesagt hat.

Aber auch die Frage, wer in welchem Haus den Kindern die letztgültigen Anweisungen erteilt, bleibt in unserer Familie wohl eines der ungelösten Rätsel der Menschheit. Grundsätzlich gilt ja: Mein Haus, meine Regeln! Gleichzeitig bekennen wir uns aber zu: Eltern dürfen von Großeltern oder Onkeln und Tanten in ihrer Autorität nicht torpediert werden.

Was gilt denn dann genau, wenn die Kinder zu Opas ungesicherten Fischteichen gehen wollen, die Großeltern es ungeschaut erlauben, die Eltern nicht und die Tante im Vorbeigehen ihr OK gibt, aber nur, wenn die Kleinen sich brav warm anziehen? Bei uns endet die Szene damit, dass die Kinder in Skihosen vor der verschlossenen Tür stehen und allesamt heulen, weil Opa und Papa abwechselnd vor ihrer Nase dieselbige auf und zu machen, währen sie darüber diskutieren, wer denn hier das Sagen hat.

Dann gibt es aber auch noch wesentlich elementarere Themen, bei denen das Engagement der Großeltern nach hinten los gehen kann. In meiner Familie im engeren Sinn (Mann, Tochter, ich) gibt es zum Beispiel eine goldene Regel: Nicht hauen! Jegliche Form von Gewalt lehnen mein Mann und ich ab, Konflikte müssen anders gelöst werden. Und genau das versuchen wir auch unserer Tochter zu vermitteln.

In Kleinkindsprache übersetzt heißt das dann ungefähr so: Wenn dir der kleine Stinker mit dem komischen Ganzkörper-UV-Anzug und dem Gnackrollohauberl im Sandkasten das Schauferl grob aus der Hand reißt und dir Sand ins Gesicht schleudert, darfst du ihm nicht gleich eins mit dem Eimer über die Rübe ziehen, auch wenn er es möglicherweise verdient hat, der kleine Rambo (allein schon wegen dem UV-Anzug)!

Dank unserer Konsequenz in dieser Hinsicht geht unsere Tochter mehr oder weniger gewaltfrei durchs Leben und versucht mit Reden, notfalls mit ohrenbetäubendem Schreien, die ein oder andere zwischenmenschliche Unstimmigkeit aus dem Weg zu schaffen und somit uns Eltern stolz zu machen.

Aber der Teufel schläft nicht und so waren eines schönen Tages meine Eltern zu Besuch und machten mit einer einzigen Bemerkung unserer wohldurchdachten Anti-Gewalt-Strategie den Garaus. Meine Tochter kuschelte sich zu ihrer Oma und erzählte ihr von einem Jungen im Kindergarten, der sie und ihre Freundinnen regelmäßig aus Spaß in den Magen boxte oder manchmal auch richtig fest zwickte.

Meine Mutter war ob dieser Frechheit gegenüber ihrer zarten Enkeltochter sichtlich entrüstet und ehe ich mich versah, erteilte sie meiner Maus eine nachhaltige Lektion über den richtigen Umgang mit Arschlochkindern: „So, meine Kleine, jetzt sag ich dir mal was. Das nächste Mal, wenn dieser Fratz wieder ankommt und euch was tun will, siehst du zu, dass die Pädagogin nicht hinsieht und dann haust du ihm eine runter, dass ihm Hören und Sehen vergeht und es gewaltig klingelt in seiner Birne!“ Na bravo und Prost, Mahlzeit!