Donnerstag, 10. November 2016

Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt...

Während der oft schier endlos erscheinenden Monate der Schwangerschaft macht man sich unweigerlich Gedanken darüber, wie das wohl alles werden wird: Wie wird das Kind sein? Wie wird es aussehen? Wie wird man selbst als Mutter sein? Man macht Pläne und fasst gute Vorsätze, ertappt sich dabei, wie man andere Mütter begutachtet und bei sich denkt: So werde ich nicht sein, ich werde das ganz anders machen! Natürlich denkt man auch bei jedem schreienden Kind, das man sieht: Meines wird ganz anders!

So hatte auch ich mir ausgemalt, wie ich und mein Baby als zukünftiges Mutter-Kind-Gespann sein würden. Abgesehen davon, dass meine ersten Vorstellungen bereits um die 20. Woche zerstört wurden, als sich das Mädchen aus meiner fixen Überzeugung (so viel zum Thema mütterliches Bauchgefühl…!) plötzlich als sich sehr ungeniert in seiner vollen Pracht präsentierender kleiner Junge entpuppte, war ich mir sicher, dass Noah ganz nach meinem Mann kommen würde: Schwarze Haare, dunkelbraune Augen, ein ruhiges, sanftes Wesen. Als passende Mama zum Kind würde ich dann lustig, liebevoll und unkompliziert sein, würde nicht alles so eng sehen und mir generell keinen Stress machen.

Generell ging ich davon aus, dass ich mich mit Geburt meines Kindes sofort grundlegend verändern würde: Durch den sicher zu erwartenden Hormonstoß würde ich plötzlich zur geborenen Mutter werden. Ich würde erstens instinktiv wissen, was zu tun ist, würde nur noch Augen für mein Kind und dessen Bedürfnisse haben und mich generell in jenes schwer verliebte Muttertier verwandeln, von dem mir alle berichtet hatten: Selbst wenn mein Kind mich zum 15. Mal in einer Nacht aufwecken und mich mit vollgekotztem Pyjama und vollgekackter Windel anbrüllen würde - wenn es mich danach kurz anlächelte, wäre es das alles wieder wert und ich könnte diesem süßen Wonneproppen einfach nicht böse sein.

Wie sich herausstellte, kam wie so oft im Leben jedoch alles anders als man denkt. Anstatt dem südländisch-dunklen Teint meines Mannes hatte Noah meine Mischmasch-Augenfarbe, meine vollkommen durchschnittlich brünetten Haare und auch noch meine Hamsterbacken. Und je besser ich den kleinen Kerl kennen lernte, umso mehr musste ich auch feststellen, dass er viel öfter das Drama Queen-Gen der Mama als den väterlichen Ruhepol ausspielte. Wenn er etwas nicht sofort schaffte, war er sofort über alle Maßen frustriert, wenn er bei Hunger nicht in zwei Millisekunden etwas zu essen bekam, drehte er beinahe durch und wenn er mal verstimmt war, steigerte er sich gleich dermaßen hinein, dass er selbst fast nicht mehr aus dem Drama herauskam. Kam mir das vielleicht irgendwie bekannt vor???

Ich sah mich also mit einem kleinen Wesen konfrontiert, das erstens komplett anders war, als ich es mir gedacht hatte und das zweitens auch noch genau jene Eigenschaften von mir geerbt zu haben schien, die ich an mir selber am liebsten weggezaubert hätte. Insgeheim hatte ich mir vorgestellt, dass Noah einfach der gemeinsame Nenner unserer beider besten Eigenschaften werden würde: vom Papa die Geduld und Intelligenz, von der Mama...hm... die Vorliebe für langes Schlafen?

Doch nicht nur Noah war von den Rosa-Brillen-Vorstellungen meiner Schwangerschaft oft meilenweit entfernt - auch ich war alles andere als das komplett in seiner neuen Rolle aufgehende Muttertier, in das ich mich doch eigentlich verwandeln hätte sollen/wollen. Wenn Noah wieder mal stundenlang untröstlich vor sich hinbrüllte, flüsterte mir mein mütterlicher Instinkt rein gar keinen Tipp zu, wie ich ihn wieder beruhigen könnte, wenn ich aus dem Fenster schaute, wusste ich nicht automatisch, wie viele Schichten ich ihm bei 17°C Außentemperatur genau anziehen musste und 99% der Zeit hatte ich schlicht und einfach keine Ahnung, was dieses kleine Wesen gerade von mir wollte. War nicht in allen schlauen Büchern, die ich gelesen hatte, gestanden, dass eine Mutter bereits in den ersten Wochen lernt, ob ihr Kind gerade aus Hunger, Langeweile oder wegen einer vollen Windel schreit? Für mich hörte sich Noahs Gebrüll immer gleich an und ich konnte nur ratlos alle Punkte meiner Checkliste abarbeiten: Flascherl geben, Windel wechseln, herumtragen, Bauch massieren, Fliegergriff, Spielzeug vorhalten, ins Bett legen - Kind brüllt noch immer? Latein am Ende!

Wie sich herausstellte, hatten die Hormone bei mir auch vergessen, in dem Maße einzuschießen, dass ich meinem Kind unmöglich böse sein konnte, wenn es mich in besonders spritzigen Nächten wieder mal wie ein Uhrwerk alle 10 Minuten mit seinem protestierenden Geheul daran erinnerte, dass es bitteschön auch noch da war (als könnte ich das jemals vergessen!). Ich bin wirklich nicht stolz darauf - genaugenommen schäme ich mich sogar ziemlich dafür -, aber wie oft ich dieses kleine Wesen schon mit wenigen Wochen in schwachen Phasen sagen wir mal "scharf angesprochen" habe, ist wirklich traurig. Ich beschränkte mich zwar darauf, mit nur schwer verhohlenem Zorn vor mich hin zu zischen "Was IST denn mit dir?", was ich aber wirklich zu ihm sagen wollte, war: "DU KLEINES ARSCHLOCH, HALT JETZT ENDLICH DIE KLAPPE UND SCHLAF!!!" So, jetzt hab ich's gesagt. Fühlt sich doch gleich viel besser an.

Irgendwie herrschte zwischen Noah und mir also offensichtlich ein Kommunikationsproblem. Ich verstand nicht, was er wollte und er verstand nicht, warum ich nicht das machte, was er wollte. Dementsprechend war auch unser Auftritt als Team relativ weit von meinen Schwangerschaftsvorstellungen entfernt. Kein Wunder - weder Noah noch ich waren so, wie ich es mir ausgemalt hatte, wie sollten wir da als Mutter-Sohn-Gespann so funktionieren wie geplant?

Der Plan hatte folgendermaßen ausgesehen: Mutter und Sohn spazieren harmonisch mit dem Kinderwagen durch den Wald, Mutter und Sohn sitzen entspannt im Kaffeehaus, Mutter und Sohn liegen kichernd gemeinsam auf der Spieledecke, Mutter und Sohn flanieren durch die Stadt und reißen alle Passanten zu entzückten "Nein, so ein süßes, braves Baby!"-Rufen hin.

Die Realität: Mutter rennt im Eiltempo, halb in den Kinderwagen gebeugt durch den Wald und versucht, dem brüllenden Kind den Schnuller in den Mund zu stecken. Mutter und Sohn gehen in kein Kaffeehaus, weil sie sich da nicht hintrauen. Sohn liegt brüllend am Boden, während Mutter die angekotzte Spieldecke wäscht. Mutter und Sohn biegen in der Stadt in die dunkelsten Gassen ab, um den missbilligenden Blicken und unausgesprochenen "Na, die hat ihr Kind aber auch nicht im Griff"-Rufen der Passanten zu entgehen. Besonders gemein war, dass ich in dieser Zeit natürlich nur solche Mutter-Kind-Gespanne sah, die genau meiner Wunsch-Vorstellung entsprachen und völlig entspannt neben uns, dem Duo Infernale aus der Babyhölle, ihre harmonische Zweisamkeit zelebrierten.

Kurz gesagt standen wir also vor dem Problem, dass sowohl Noah ein anderes Baby war als ich erwartet hatte, als auch ich nicht die Art von Mutter, die ich mir gewünscht hatte. Das wirklich Fiese an der Sache war, dass ich zwar kein neu erschaffenes Muttertier, gleichzeitig aber auch nicht mehr die Alte war. Mit einem Schlag hatte ich das Gefühl, dass alle Grundfesten zerbröckelt waren, die mich als Person ausmachten. Ich war doch eigentlich die Susi, die gern lachte, gern ein gutes Buch las, sich gern mit Freunden traf, ein Bier trank und mit der Nachbarskatze schmuste - und wann hatte ich all diese Dinge in den letzten Monaten auch nur ein Mal getan?? Wieso wollte ich sie überhaupt noch tun, jetzt wo ich doch ein Wunschbaby hatte? Wieso kam ich mir plötzlich unsichtbar vor hinter all den Dingen, die sich um Noah drehten?

Die Frage war also: Wer war ich, wenn ich nicht mehr die Alte war und auch noch nicht so richtig die Neue? Eine Antwort auf die Frage habe ich ehrlicherweise bis heute noch nicht gefunden. Ich denke, dass sowohl ich als auch Noah nach wie vor jeden Tag ein bisschen mehr in unsere Rollen im dynamischen Duo hineinfinden. Je besser wir uns kennenlernen, desto besser klappt das auch - jeden Tag ein bisschen mehr und jeden Tag fühlt es sich ein kleines bisschen mehr wie Normalität an.

Ganz werden sie aber wahrscheinlich nie verschwinden, diese Tage, an denen ich mein Kind nur anschauen und denken kann: Wer bist du bloß?? Und wer ist diese Irre, zu der du Mama sagst??

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