Sonntag, 27. Dezember 2015

Drama, baby!

Ich geb’s zu: Ich seh mir gerne Casting-Shows an. Und nicht nur, weil die da alle so toll singen, tanzen oder modeln, sondern auch, weil man über das Gezicke und Getue einfach immer so herrlich schön bei einer Tüte Chips ablästern kann. Wenn ich allerdings geahnt hätte, dass das große Umstyling bei „Germany’s Next Top Model“ auf der Dramaskala klar unter einem durchschnittlichen Tag mit einem 1 ½-Jährigen liegt, hätte ich mir wohl ein bisschen genauer angeschaut, wie Heidi Klum den Mädchen beibringt, dass das ganze Rumgeheule hier nichts bringt und eine blonde Stoppelglatze jetzt leider einfach sein muss.

Versteht mich nicht falsch, an manchen Tagen ist mein Kind ein kleiner Engel (meistens an den Tagen, an denen er bei Oma ist..), aber an anderen erreicht er bereits vor 08.00 Uhr morgens einen Drama Queen-Status, der die Teilnehmer des Dschungelcamps daneben wie Lämmchen aussehen lässt. Überblicksmäßig sind unsere Tageshighlights dann in etwa wie folgt:

06.00 Uhr: Noah plärrt hysterisch durchs Babyphone und ich breche mir beim panischen Halbschlaf-Lauf ins Kinderzimmer beinahe ein Bein, weil ich über die pädagogische wertvolle Werkbank stolpere. Als ich mich besorgt übers Gitterbett beuge, verstummt das Geheule, Noah lacht, zeigt in mein Gesicht und schreit fröhlich „Nase!“. Als ich ihm erkläre, dass es zwar durchaus richtig ist, dass ich eine Nase habe, das aber kein ausreichender Grund ist, jetzt bereits aufzustehen, bricht er wieder in hysterisches Geplärre aus.

06.15 Uhr: Der erste Kampf ist gewonnen und Noah steht triumphierend im Bad. Sein stolzes Siegerlächeln weicht Indianergeheul, als er merkt, dass er sich auch heute nicht mit der Klobürste sondern mit seiner Captain Sharky -Zahnbürste die Zähne putzen darf.

06.15 – 06.45 Uhr:
Intermittierende Heulkrämpfe, weil wir heute nicht das T-Shirt mit dem Traktor anziehen, weil ich das Frühstück nicht schnell genug zubereite, weil das Frühstück nicht aus Pudding besteht, weil ich das Müsli nicht 40 sondern nur 30 Mal kühl geblasen habe.

07.15 Uhr: Noah will Haube und Gummistiefel anziehen. Ihm das bei 22°C Raumtemperatur auszureden, habe ich mir bereits abgewöhnt. Das Wutgeschrei bleibt trotzdem nicht aus, als er merkt, dass er sich beides nicht alleine anziehen kann. Als ich ihm anbiete, ihm dabei zu helfen, eskaliert die Situation. „Neeeeeein!!! Hauwe, Hauwe!“ – gibt es eigentlich so etwas wie einen Baby-Mediator?

08.00 Uhr: Ich sehe keine andere Möglichkeit als die Flucht nach draußen. Noah zeigt sich begeistert von der Aussicht, auf den Spielplatz gehen zu dürfen, bricht jedoch in Tränen aus, als ich ihm eröffne, dass wir dazu eine Jacke anziehen müssen.

08.30 Uhr: Sturz vom Rand der Sandkiste – Drama. Gescheiterter Plan, die Leiter zur Rutsche ohne Hände hochzusteigen – Drama. Erkenntnis, dass Mama sich leider nicht in die Kinderschaukel mit Bügel setzen kann, weil ihr Hintern dazu zu fett ist – Drama (auf beiden Seiten).

11.30 Uhr: „Essen! Essen!“ – „Ja sicher, mein Schatz, gehen wir heim und machen uns Nudeln!“ – „Neeeeeeeeein!!! Wuhaaaaaa!“. Unter den schockierten Blicken der gesamten Nachbarschaft schleife ich das Kind nach Hause und hoffe, dass niemand die Polizei ruft, weil er fälschlicherweise denkt, ich würde gerade ein wildfremdes Kind entführen, anstatt mein eigenes zu seinem Lieblingsessen zu bringen. Als ich endlich die Tür hinter mir ins Schloss fallen lasse und die Nachbarn wieder hinter den Gardinen verschwinden, setzt sich des Dramas 500. Akt im Vorzimmer fort. Noah schreit und stampft wie Rumpelstilzchen, weil er die Jacke ausziehen soll, die er vorher partout nicht anziehen wollte.

12.00 Uhr: Irgendwie habe ich es geschafft, eine Portion Spaghetti Bolognese auf den Tisch und den widerporstigen Purschen in seinen Hochstuhl zu bekommen. Geheul, weil das Mittagessen nicht aus Pudding besteht, wird gefolgt von Geheul, weil offenbar die falsche Anzahl Nudeln auf dem Teller liegt, wiederum gefolgt von Geheul, weil Noah zwar unbedingt mit seinem eigenen Löffel essen möchte, die Hälfte des Essens jedoch auf halbem Weg zum Mund abstürzt und zielsicher neben dem Lätzchen auf der frisch gewaschenen Hose landet. Der krönende Abschluss des Mittagsessens ist der Nachtisch – Geheul, weil er aus Pudding besteht, Noah jetzt aber doch viel lieber „Trauben! Traaaaauben!“ wollte…

12.30 Uhr: Mit letzten Kräften verfrachte ich das Kind für seinen Mittagsschlaf ins Gitterbett, lese ihm eine Geschichte vor, drücke ihm einen Kuss auf die Wange und verlasse fluchtartig den Raum. Jetzt hätte ich gern einen Schnaps. Stattdessen lasse ich mich im Wohnzimmer auf die Couch fallen und höre Noah die nächste halbe Stunde übers Babyphone dabei zu, wie er singt, plappert, turnt, seine Kuscheltiere gegen die Wand pfeffert, mit dem Bett durchs Zimmer fährt (Glaubst du nicht? Mein Kind kann das!) und sonst noch allerhand Schlafvermeidungsstrategien ausprobiert, bis ihn nach gefühlten Ewigkeiten endlich das Sandmännchen erwischt. Ich atme tief ein und aus, genieße diese unglaublich schöne Stille und überlege kurz, ob ich vielleicht einfach schnell zum Flughafen fahren soll. Ein Blick auf die Bügelwäsche, die Stapel an schmutzigem Geschirr und herumliegendem Spielzeug machen mir aber schnell klar, dass ich die nächste Stunde anders verbringen werde.

14.00 Uhr: Gerade habe ich die letzte Wäsche zusammengefaltet und möchte mir eine Tasse Kaffee holen, als das Babyphone wieder zum Leben erwacht. Kurz schöpfe ich Hoffnung, dass der Mittagsschlaf Noahs Laune etwas gebessert hat, meine naive Vorstellung wird jedoch sofort zerschlagen, als ich Noah aus seinem Bettchen hole und er feststellt, dass ich nur die fade Mama und nicht der lustige Opa bin. Wie bei „Täglich grüßt das Murmeltier“ läuft der restliche Tag dann mit kleinen Variationen (jetzt sind es die Badeschlapfen und nicht mehr die Gummistiefel) gleich ab wie der Vormittag: Noah bricht gefühlt im Sekundentakt in ein neues Drama aus und ich tröste, schlichte, schimpfe, locke, resigniere und google (Sind es die Zähne? Der Bauch? Ein Schub??) vor mich hin, bis wir abends beide erschöpft ins Bett fallen. Bevor ich in einen komatösen Schlaf sinke, denke ich noch bei mir: Morgen wird alles anders. Und wenn nicht, dann ruf ich Heidi Klum an...

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